Sonntag, 21. August 2022: Seeadler und der Trollfjord auf den Lofoten
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Info:
Die Lofoten liegen südlich der Vesteralen und bestehen aus ca. 80 Inseln. Die größten Inseln sind durch Brücken oder Tunnel miteinander verbunden.
Seit ca. 6000 Jahren sind die Inseln besiedelt. Man lebte vor allem vom Fischfang und von der Jagd.
Svolvaer ist die Hauptstadt der Lofoten. Noch immer ist der Fischfang ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, aber da der Tourismus an Bedeutung gewinnt, investierte die Stadt in den letzten Jahren in den Neubau von Hotels und ein interessantes Kulturangebot.
Etwa 280.000 Touristinnen und Touristen besuchen jährlich die Lofoten.
Ein besonderes Highlight sind die Seeadler, zu denen man von Svolvaer aus fahren kann, und der Trollfjord.
Meine Meinung:
Selbst ich konnte mich dem Zauber der Lofoten nicht entziehen. Auch wenn sie mir zu spektakulär sind. Ich habe mich fast erschlagen gefühlt.
Tagebuch:
Wir, Annie Way und ich, brachen von der Insel Andoya, von deren wilder Schönheit der Moorlandschaften ich mich nur schwer verabschieden konnte, nach Süden auf.
Das Ziel war irgendwo bei Svolvaer, der Hauptstadt der Lofoten auf der Insel Vestvagoy. Mittlerweile ist selbst mir klar geworden, dass es nicht mehr notwendig ist, sich vorher um einen Campingplatz zu kümmern. Wir fuhren also einfach los, und ich genoss noch einmal diese wunderbare, unspektakuläre Landschaft. Fast machte es mich ein bisschen traurig, zu wissen, dass ich hier nicht mehr herkommen werde. Der Song „My heart’s in the highlands“ ging mir durch den Kopf und wurde zum Ohrwurm. Obwohl – Meereshöhe beziehungsweise ein paar Meter drüber, aber die Landschaft und die Stimmung sind sehr ähnlich.
Wir mussten ein Stück den Weg zurückfahren, den wir gekommen waren, bis wir endlich in Richtung Lofoten abbogen. Der Wegweiser zeigt die E 10 mit dem Ortsschild A. Allerdings A mit einem Ringerl drüber. Der A der Welt sozusagen, und mit der Kürze des Ortsnamens übertrifft A auch noch den Po der Welt in Italien. A ist der südlichste Ort der Lofoten, und den Wegweisern dorthin folgt man, wenn man nach Süden will.
Viele Leute schwärmen von den Lofoten. Tatsächlich ist es so, dass man eigentlich alle paar Minuten Halt machen müsste, weil die Landschaft so atemberaubend ist und der Ausblick sich ständig ändert. Die Lofoten bestehen hauptsächlich aus Bergen, Tälern und Fjorden mit wenig Lebensraum für die Menschen. Aber diese Berge, Täler und Fjorde sind absolut spektakulär. Fast zu viel des Guten, zumindest für eine wie mich, die eher weite und stille Landschaften liebt, so wie die schwedische Mitte und die Highlands, die Orkneys, Andoya und das Mühlviertel. Dass es unglaublich schön ist auf den Lofoten, kann niemand leugnen.
In Svolvaer gab es kein Schild mit dem Zeichen für einen Campingplatz, aber kurz danach. Wir bogen ab, fuhren ein paar hundert Meter von der E 10 weg und standen am Ende eines Fjords direkt am Wasser mit Blick auf Berge und ein bisschen auf das offene Meer.
Da ich unbedingt Boot fahren wollte, bezahlte ich gleich für zwei Tage. Nicht billig, das machte insgesamt 900 Norwegische Kronen, also neunzig Euro aus. In Andenes hatten wir inklusive Strom 280 NOK pro Nacht bezahlt. Und zehn Kronen fürs Duschen.
In Norwegen gilt das Jedermannsrecht, das heißt, man darf mit einem – pfui! – Wohnmobil oder Wohnwagen oder Campervan fast überall stehen. Aber das will ich nicht. So weit bin ich noch nicht in meinem Vanlife-Abenteuer. Ich will die Sicherheit und – angesichts meiner inneren Weigerung, mich mit Annie Ways Boiler zu befassen – jeden Tag eine warme Dusche. Was ja bei den Temperaturen hier an manchen Tagen das einzig Warme ist, abgesehen von Annie Ways sensationeller Heizung und meinen Kochkünsten. Und dem Kaffee, der immer noch gewöhnungsbedürftig schmeckt. Das ist eine der großen Erkenntnisse dieser Reise: Löskaffee ist nicht die Lösung und auch von einer Notlösung kläglich weit entfernt. Aber immerhin, so etwas Ähnliches wie Kaffee. Mit viel Fantasie. Naja, mit sehr viel Fantasie.
Wir standen also in Skarsvagen direkt am Fjord, und es war einfach traumhaft. Ich kümmerte mich noch um meine Bootsfahrt zum Trollfjord und den Seeadlern für den nächsten Tag, machte einen kleinen Spaziergang und saß dann gemütlich vor Annie Way auf meinem Campingsessel und schaute selig auf die Umgebung. Es war wieder einmal so still, dass das gelegentliche Gekreische einer Möwe eine fröhliche Abwechslung darstellte. Das Meer lag absolut ruhig vor mir.
Ebbe am Ende des Fjords. Klares Wasser, sandiger Meeresgrund, gelegentlich ein dunkler Stein. Stille. Sonnenschein.
Und dann auf einmal änderte sich die Stimmung binnen Sekunden. Nicht nach außen hin, da blieb alles gleich, aber selbst wenn das jetzt esoterisch klingen mag, es war plötzlich eine andere Form von Energie da. Einer gewaltigen Energie, die ich zunächst nicht zu deuten vermochte. Erst ein Blick auf die Steine des Ufers machte es mir klar. Die Flut hatte eingesetzt. Sie kroch in weiten, kaum sichtbaren Wellen ans Ende des Fjords und drückte die Wassermassen herein. Diese Kraft war spürbar, zumindest anfangs. Nach einigen Minuten war wieder alles wie vorher, klares Wasser, sandiger Meeresgrund, gelegentlich ein dunkler Stein. Stille. Sonnenschein. Berge auf der anderen Seite.
Der Moorboden der Umgebung zeigte sich mit blühendem Heidekraut, Preiselbeeren und vielen zarten, kleinen Blumen und Gewächsen. Dazwischen immer wieder dunkelbraune Tümpel, die den Himmel spiegelten.
Die Nacht war komplett ruhig, keine Wellen, kein Wind, und als ich in der Früh in Vorfreude auf die Bootsfahrt die Verdunkelung von Annie Ways hinteren Fenstern herunterschob, starrte ich in …
Ins Nichts. Vor mir war eine Nebelwand.
Da kann eine schon zu zweifeln anfangen. Lag es an mir? Am Abend hatten mir zwei Leute aus der Schweiz erzählt, dass sie bisher auf ihrer Reise großes Glück mit dem Wetter gehabt hatten. 20°C, Windstille und Sonnenschein am Nordkap und so. Das vom Sturm umgekippte Wohnmobil, das mich so sehr in Angst und Schrecken versetzt hatte, hatten sie im Internet gesehen. Nein, sie hatten während der gesamten Reise Sonnenschein.
Liegt es an mir? Bringe ich das schlechte Wetter mit? Oder geht das schlechte Wetter dorthin, wo ich hingehe? Überlegen sich die Stürme bei ihrer Planung für den nächsten Tag: Wo fahren Ursula und Annie Way hin? Ja, das ist ein guter Plan, dort wehen wir auch hin! Und damit es lustig wird, nehmen wir auch noch Wolken mit.
Fast könnte es mir so vorkommen.
Als ich von der Campingplatzluxusdusche zurückkam, waren die Berge auf der anderen Seite des Endes des Fjords immer noch nicht zu sehen. Das hätte fast ein wenig an meiner guten Laune gekratzt.
Da ich nicht genau wusste, wo ich in Svolvaer parken konnte, fuhr ich vorsichtshalber eineinhalb Stunden vor der Abfahrt um zwölf Uhr schon ab. Selbstverständlich fand ich sofort einen Parkplatz in der Nähe des Hafengebäudes, in dem sich das Unternehmen befand. Also blieb mir noch ein wenig Zeit. Ich ging zuerst einmal hin, um die Lage zu erkunden, sah ein Schlauchboot anlegen und war sofort beruhigt, als ich die Kälteschutzanzüge, Schwimmwesten und Skibrillen der Leute sah, die ausstiegen. An Land schälten sie sich umständlich aus ihrer Montur, unter der sie normale Kleidung trugen.
Eine Stunde vor Abfahrt war immer noch Nebel im Hafen. Ich fragte den Guide, der mit der Gruppe zurückgekommen war, ob es überhaupt Sinn machte, bei diesem Nebel zu fahren. Er lachte, zückte sein Handy und zeigte mir ein Video, das er gerade aufgenommen hatte. „Draußen scheint die Sonne. Der Nebel ist nur hier im Hafen.“
Nach einem kurzen Spaziergang durch Svolvaer war es auch für mich so weit. Wir checkten ein, gaben unsere Identitäten durch das Anziehen der Kälteschutzanzüge vorübergehend ab, bekamen eine launige Sicherheitseinführung unseres Guides und stiegen ins Schlauchboot. Naja, nicht ganz. Ein Ehepaar kam zu spät, auf die mussten wir noch warten, und während wir warteten, hüpften die in ihre Anzüge und besetzten auf dem Boot die besten Plätze. Das war ziemlich witzig. Der Guide rollte mit den Augen und meinte, er dürfe keine Kommentare abgeben. Alle lachten.
Die See war glatt, und zu meiner großen Überraschung war es in dem Schutzanzug wohlig warm. Wir saßen auf unseren Hockern wie auf schmalen Satteln und hielten uns fest.
Es ging langsam hinaus aus dem Hafen, dann beschleunigte der Guide. Durch die Skibrillen war der Wind kein Problem. Und tatsächlich, kaum hatten wir den Hafen verlassen, verschwand der Nebel, und die Sonne schien.
Vor der Küste liegen viele kleine Inseln, zwischen denen wir durchfuhren. Plötzlich bremste der Guide abrupt ab. Die ersten Seeadler ließen sich blicken.
Mächtige Tiere, von denen die Lofoten weltweit die größte Population beherbergen. Aus einem Kilometer Entfernung können sie Fische wahrnehmen, die knapp unter der Oberfläche schwimmen. Der Adler schnappt seine Beute mit den Krallen, er taucht selbst nicht ins Wasser, weil die Federn nicht nass werden dürfen. Dann kann er nämlich nicht mehr fliegen. Ein nasser Adler kann höchstens versuchen, ans Ufer zu schwimmen, aber meistens klappt das nicht, und er ertrinkt. Das passiert aber nur, wenn die Tiere um die Beute kämpfen. Dabei stoßen sie sich gegenseitig ins Wasser.
Unser Guide hatte in einer Kühlbox Fische mitgenommen. Die warf er ins Meer, und die Adler holten sie sich. Es war überwältigend, das aus nächster Nähe beobachten zu dürfen.
Wir fuhren weiter zu einer größeren Kolonie. Die Adler saßen, jeweils mit einem Respektabstand, auf den Felsen und beobachteten das Geschehen. Brav lieferten sie für uns Proben ihrer Flugkunst ab und holten sich die Fische.
Schließlich fuhren wir weiter in den Fjord hinein, von dessen Ende noch ein Seitenarm wegging, der Trollfjord. Diesen erreichten wir durch eine schmale Öffnung zwischen zwei Bergen, wobei eine Steilwand fast senkrecht 500 Meter nach oben verlief. Am Ende öffnete sich der Fjord ein wenig und gab den Blick frei auf die umliegenden Berge mit ihren Schneefeldern.
Trolle sind mindestens viermal so groß wie Menschen. Sie können aber auch so groß wie ein Berg sein. Und sie können selbst zu Bergen werden.
Auf jeden Fall sind sie Künstler und Künstlerinnen im Gestalten von Landschaften. Was sie sich bei diesem Fjord einfallen haben lassen, ist gewaltig.
Die Gebirge der Lofoten sind sehr alt und brüchig. Schon das Vibrieren der Maschinen großer Schiffe kann zu Felsstürzen führen. Es ist schon vorgekommen, dass sich dann plötzlich so ein 500-Tonnen-Brocken von der 500-Meter-Steilwand löste und in den Fjord donnerte. Auch wenn er das Schiff nicht direkt traf – so eine Situation will man nicht erleben. Deshalb setzte das Unternehmen, bei dem ich gebucht hatte, auf die kleinen, wendigen Schlauchboote, deren Motoren nichts zum Stürzen bringen können.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, gibt es am Ende des Trollfjords noch einen Wasserfall.
Auf der Rückfahrt besuchten wir eine andere kleine Insel mit Adlern, und dann ging es zurück in den immer noch nebelverhangenen Hafen.
Beim Aussteigen aus dem Boot stolperte ich und wäre gestürzt, wenn ich mich nicht noch irgendwo festhalten hätte können. Das Sitzen auf dem Schlauchboot war offensichtlich doch sehr anstrengend gewesen.
Ungelenk schälten auch wir uns aus unseren Anzügen, gaben die Brillen und die Schwimmwesten ab und gingen unserer Wege.
Annie Way und ich fuhren zurück zum Campingplatz, ich kochte und setzte mich dann wieder in den Sonnenschein und tat NICHTS. Gar nichts, den ganzen Abend nicht. Ich schaute auf den Fjord und auf die Berge, erstmals seit langem im kurzärmeligen T-Shirt und Rock. Was ich erlebt hatte im Trollfjord und bei den Seeadlern, war mehr als genug für einen ganzen Tag.
Und auf einmal waren aus heiterem Himmel die Wolken da und der Sturm und die Wellen und das Gewitter. Ein sehr schauerliches Gewitter. Und der Platzregen, der die ganze Nacht dauerte, zusammen mit dem Sturm.
Nun, vom Nordkap her sind wir ja schon einiges gewöhnt. Hier rechnete ich mir zuerst einmal aus, ob wir ohnehin nicht im Wasser landen würden, wenn wir umkippten. Nein, würden wir nicht, das ging sich aus. Aber was würde ich tun, wenn die Wellen so richtig hoch hereinrollten? Annie Way hing am Stromkabel. Das hatte uns ziemliche Probleme gemacht, weil das Zwanzig-Meter-Kabel nicht funktionierte und das Zehn-Meter-Kabel zu kurz war. Also hatte ich ein wenig herumgetrickst.
Ich beschloss, falls die Wellen höher würden, beinhart einfach wegzufahren, eines der Kabelenden würde sich schon losreißen. Es ging nur um hundert Meter, und wir wären in Sicherheit. Auf keinen Fall wollte ich bei dem starken Regen ins Freie und mich auch noch um die Kabel kümmern müssen.
Und ich schwor mir eines: In Zukunft geht Sicherheit vor Schönheit. Die schönste Aussicht vergisst du in dem Moment, wo der Wind so sehr an deinem Van rüttelt, dass du Angst bekommst, umgeworfen zu werden. Noch dazu, wenn du so etwas schon am Nordkap tatsächlich gesehen hast.
Ich beobachtete die Entwicklung der Wellen sehr lang, aber sie blieben klein genug und beruhigten sich auch sehr schnell wieder, als das Gewitter endlich vorbei war. Draußen vor dem Fjord stand die Wolkenwand auf Seehöhe. Im Fjord lag sie etwas höher, aber nicht viel.
Als ich am Morgen aufwachte, schüttete es immer noch in Strömen. Diesmal schlüpfte ich in meine Regenjacke und kümmerte mich um die Kabel. Da es hinter Annie Way kaum windig war, kam der Regen hier nicht so stark an, und ich konnte das Kabel aufwickeln. Bei der nächsten Reise werde ich auch für das Zwanzig-Meter-Kabel eine Kabeltrommel nehmen. Denn egal, wie kunstvoll man ein Kabel aufwickelt, irgendein Knoten entsteht immer, wenn man es wieder ent-wickeln will.
Dann drehte ich noch das Gas ab, fuhr mit Annie Way zum Servicehaus, nahm eine wunderbare Dusche und frühstückte anschließend auf dem Parkplatz.
Schließlich ließ der Regen ein wenig nach, und wir fuhren los in Richtung Süden. Unser Ziel war Reine, und ich war mir sicher, dort irgendwo einen Campingplatz zu finden.