Sonntag, 28. August 2022: Lofoten, Borg und A
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Info:
Auf der Insel Westvagoy befindet sich das Wikingermuseum bei der Ausgrabungsstätte Borg. Die Wikingersiedlung Borg bestand vom 2. bis zum 15. Jahrhundert und war um die Jahrtausendwende von etwa 1800 Menschen bewohnt. Bisher fand man über 100 Höfe.
Das Besondere an Borg ist das größte Langhaus, das bisher entdeckt wurde. Es war 83 m lang. Neben der Originalfundstelle ist eine Nachbildung aufgebaut, die Einblick in das Leben, die Bräuche und den Glauben der Menschen gibt.
Das ehemalige Fischerdorf A liegt am südlichen Ende der Lofoten. Heute ist es ein Museum. Die Gebäude sind etwa 150 Jahre alt. Man kann viel über den Fischfang in früheren Zeiten und über den Stockfisch erfahren. Dabei handelt es sich um Kabeljau, der durch Trocknen haltbar gemacht wird.
Meine Meinung:
Das Wikingermuseum fand ich absolut faszinierend. Ob man unbedingt nach A fahren will, wo doch auf den Lofoten jeder Meter so viel Schönes bietet, bleibt dahingestellt. Andererseits, wer will nicht von sich behaupten können, am A der Welt gewesen zu sein?
Tagebuch:
Ich habe immer noch ein etwas ambivalentes Verhältnis zum Navi. Sie hat mittlerweile einen Namen. Sie heißt Navita. Nicht sehr originell, ich weiß, aber wir verstehen uns ja auch nicht so besonders gut.
Manchmal hat Navita so ihre eigenen Ideen. Sie sollte uns eigentlich nur über die E 10 nach Süden bringen. Wir hätten sie in Wirklichkeit für die gestrige Fahrt gar nicht gebraucht. War ohnehin alles klar. E 10 bis Reine und dann einen Campingplatz suchen.
Nun, kurz bevor es über die Brücke auf die Insel Moskenes ging, befahl mir Navita, die nächste Straße rechts zu nehmen. Ich war so überrascht, dass ich gehorchte und erst beim Abbiegen bemerkte, dass die E 10 geradeaus weiterging. Manchmal ist es wirklich so, dass die E 10 irgendwo überraschend abbiegt, aber diesmal landeten wir auf einer einspurigen Straße und fuhren mitten in die Botanik.
Ich habe schon erwähnt, dass die Landschaft der Lofoten spektakulär ist. Und dass mir diese wunderschönen Aussichten manchmal fast zu viel werden.
Aber jetzt waren wir plötzlich weg vom Mainstream mitten im Gelände. Und siehe da, es handelte sich um ein Moorgebiet ähnlich wie Andoya oder die schottischen Highlands oder die Orkneys, allerdings umgeben von diesen unglaublichen Bergen.
Und ab diesem Moment hatten mich die Lofoten gefangen. Egal, was sie landschaftlich noch aufführen und was mir zu viel werden könnte, zu spektakulär, zu wunderschön – der Gedanke an dieses stille Gebiet macht das alles wett.
Nicht nur Navita führte mich in diese Gegend, sondern offensichtlich alle anderen Navis aller anderen – pfui! – Wohnmobile und Campervans auch. Zum Glück gab es auf der einspurigen Straße Ausweichstellen. Man bedankte sich freundlich durch Handzeichen bei allen, die stehenblieben.
Nach gut fünf Kilometern war der Spuk vorbei, wir bogen wieder auf die E 10 ab, von der wir eine Ecke abgeschnitten hatten. Und ich schloss Frieden mit Navita. Sie noch nicht mit mir, aber ich definitiv mit ihr.
Außerdem bin ich – gegen Navitas Willen, und sie tat mir ihren Unwillen deutlich kund – zum Wikingermuseum abgebogen. Solche eigenmächtigen Entscheidungen mag sie gar nicht.
Das Wikingermuseum Borg befindet sich bei Bostad auf der Insel Vestvagoy. Neben den tollen Ausstellungsstücken im Hauptgebäude gibt es ein 83 m langes Langhaus, das längste, das je gefunden wurde. Die ältesten Teile sind 1500 Jahre alt, ausgebaut wurde es um das Jahr 900. Der Ort hieß damals Borg. Heute gibt es einen Nachbau gleich neben dem Originalplatz. Außerdem kann man unten am Fjord mit einem nachgebauten Wikingerschiff eine Fahrt machen.
Mich hat am meisten das Langhaus fasziniert, da es einen Einblick in die Lebensweise der Menschen damals gab. Eine Frau saß auf einer mit Fellen bedeckten Bank und spann. Sie erzählte mir, dass Wikingermädchen ab einem Alter von vier Jahren spinnen lernten. Das Kleid, das sie trug, war aus solchen gesponnenen und gefärbten Fäden gewebt, und dafür brauchte man zwei Monate.
Was mich am meisten überraschte, waren nicht die ohnehin bekannten Verzierungen an Wänden und Holzpfeilern, sondern die keltischen Muster, die überall zu finden waren.
Die Fürsten mussten, um an der Macht zu bleiben, die Beziehung zwischen den Gottheiten und den Menschen herstellen. Vor dem Christentum waren rituelle Handlungen auch in Frauenhand, erst mit dem Christentum wurde es eine Männerdomäne.
Beeindruckend war der Thron, auf dem der Fürst saß. Es handelt sich um eine breite Bank. Entweder war er so dick oder er saß dort nicht allein. Bei Wikingern denkt man zuerst an Männer, aber in einem kurzen Spielfilm wurde die Frau gezeigt, die zur Blütezeit von Borg die Regierung innehatte und zusammen mit ihrem Mann auf dem Thron saß.
Das Museum zeichnete ein umfassendes Bild des Lebens der Menschen vor tausend Jahren. Die Wikinger wurden durch Handel mit den europäischen Königshäusern und durch Steuereinnahmen sehr reich. Gelegentlich, wenn einem Fürsten das Geld ausging, wurde auch geplündert. Wer etwas produzierte, musste Steuern zahlen. Die wichtigsten Partner der Wikinger waren die Sami, die ihnen Felle lieferten. Auch sie zahlten Steuern von ihren Gewinnen an die Wikingerfürsten und -fürstinnen. Diese behielten einen Teil und verteilten den Rest beziehungsweise bezahlten davon die Menschen, die für sie arbeiteten. Die Wikingergesellschaft war sehr hierarchisch organisiert, an der untersten Stufe standen die Unfreien, die dem Fürsten oder der Fürstin gehörten.
Nach diesem Ausflug in die Vergangenheit kamen wir schließlich nach Moskenes und nahmen den ersten Campingplatz nach Reine. Reine war uns empfohlen worden von einer österreichischen Familie. Die hatten sich einfach am Fjord bei Svolvaer in Annie Ways Nähe gesetzt, und als ich daherkam, redeten sie mich an. Toller Van. Dürfen wir mal sehen? Was kostet so etwas? Sie selbst waren hergeflogen und hatten sich ein Auto gemietet. Ich fragte sofort, was sie mir auf den Lofoten empfehlen könnten. Reine und Henningsvaer waren die schönsten Orte, die sie bisher gesehen hatten. Und dann kam mit Blick auf Annie Way wieder der Satz: „So etwas ist immer unser Traum gewesen.“ Denn wozu arbeitet man denn?
Jetzt bin ich hier, etwas südlich von Reine. Gestern bei der Ankunft fragte mich der Mann an der Rezeption, ob ich eine tolle Aussicht oder lieber etwas Windgeschütztes haben will. Windgeschützt selbstverständlich, ich bin ja lernfähig. Und das ist gut so. Allerdings: Die Aussicht von weiter oben ist schon spektakulär. Aber das ist auf den Lofoten ohnehin so ziemlich alles. Und wo ich jetzt lümmle und darauf warte, dass es zu regnen aufhört, sehe ich auch das Meer. Grau. Grau in Grau. Aber immerhin.
Ach ja, und die Kabelverbindungen funktionieren wieder einwandfrei. Vielleicht ist es doch an der Stromsäule am letzten Campingplatz gelegen, dass ich ein Problem hatte.
Ich habe mir eine zweite warme Strumpfhose gekauft. Merinowolle. Nachdem die erste sich so wunderbar trägt … Man stelle sich vor: Sommerurlaub mit Wollstrumpfhose unter den Jeans!
Dass am südlichen Ende der Lofoten sich der A der Welt befindet, habe ich ja schon erwähnt. Man fährt die Straße entlang, die einzige, die es gibt, und auf einmal steht man auf einem Parkplatz. Das ist der Parkplatz von A. Dann zahlt man und besucht das Dorf, das in Wirklichkeit nur mehr ein Museum ist. Und dann hat man das gesehen und fährt wieder zurück in dem Wissen, dass der Ort seinem Namen gerecht wird. Ganz ehrlich: Es zahlt sich nicht aus, A zu besuchen, aber wenn eine wie ich schon nicht am Nordkap war, dann will ich zumindest behaupten können: Ich war am A der Welt. Immerhin.
Wobei, so ganz aburteilen sollte ich das nicht. In einem der wenigen Häuser, die man fürs Eintrittsgeld betreten darf, stand eine Frau, die freundlich war und mir anhand der Einrichtungsgegenstände viel über die Menschen erzählte, die in diesem Haus gewohnt hatten. Das war sehr aufschlussreich. Und in der Bäckerei, wo immer noch mit dem Ofen von achtzehnhundertirgendwann gebacken wird, kaufte ich eine Zimtschnecke, die köstlich schmeckte. In einem Laden erwarb ich noch ein Pickerl, auf dem groß A und klein Lofoten steht, immerhin ein gewisser Zusammenhang mit dem Pickerl A für Österreich, das Annie Way auf ihrer Hintertür kleben hat, weil man das in Norwegen haben muss. Aber sonst …
Als ich danach zurückfuhr und eine Runde um den Campingplatz machte, wurde mir klar, dass sich nur ein paar hundert Meter davon entfernt die Anlegestelle der Fähre nach Bodo befand.
Google Maps erklärte mir, dass der Landweg nach Bodo, meiner nächsten Station, 644 km betragen würde. Also zwei Tage Fahrt. Bei Annie Ways Verbrauch von 7,9 Litern pro 100 km wären das über 50 Liter Diesel zu insgesamt etwa 120 Euro und einem CO2-Ausstoß von 130 kg. Das alles im Tausch gegen eine dreieinhalbstündige Fahrt mit der Fähre um umgerechnet circa 95 Euro.
So schnell konnte ich gar nicht schauen, hatte ich schon online die Fähre gebucht, allerdings nicht für den nächsten Tag, sondern für den übernächsten. Ich wollte die Lofoten noch nicht verlassen.
Um bei der Fähre nicht komplett blöd dazustehen, ging ich hinunter zur Anlegestelle und beobachtete, wie die Autos, LKWs, – pfui! – Wohnmobile und Vans in dem gewaltigen Bauch des Schiffes verschwanden. Im Rückwärtsgang!
Mir war sofort klar, dass mich das eine schlaflose Nacht kosten würde. Im Rückwärtsgang auf eine Fähre fahren … wie sollten Annie Way und ich das denn schaffen? Wir können noch nicht einmal normal im Rückwärtsgang einparken, geschweige denn ein derartiges Kunststück zuwege bringen!
Aber: Wenn es dir Angst macht, könnte es einen Versuch wert sein. „Das wird unsere Meisterinnenprüfung“, sagte ich zu Annie Way. Sie antwortete nicht.
Am nächsten Morgen war das Wetter schön, und ich fuhr zurück Richtung Reine. Der Parkplatz war wieder mal komplett voll, also weiter in andere Dörfer, die keine Touristenattraktionen sind, die aber dafür umso netter wirken. Schließlich machte ich sogar eine Wanderung am Meer entlang, hatte aber angesichts einer mehrere hundert Meter hohen Steilwand ein mulmiges Gefühl. Wenn da ein Stein runterfällt?
Auf einem großen Parkplatz bei einem malerischen Dorf übten Annie Way und ich für die Fähre. Meisterinnenprüfung. Davon waren wir weit entfernt. Aber im Endeffekt … Am Beginn unserer Reise hatte ich noch den Eindruck, Annie Way fährt mit mir. Mittlerweile hat sich das umgedreht. Ich fahre mit Annie Way, im Sinne von: Ich habe sie in der Hand. Von ihren sehr willkommenen Bremsmanövern vor Schafen und Rentieren einmal abgesehen, aber die werden nicht diskutiert. Noch immer nicht.
Vielleicht fährt in Wirklichkeit Annie Way, und sie gibt mir nur das Gefühl, als würde ich fahren. Die technische Entwicklung geht in Richtung selbstfahrender Autos. Womöglich ist Annie Way ein Prototyp, und man hat es mir verschwiegen und beobachtet uns jetzt. Über einen Satelliten. Ein silbergraues Rentier und ein schafwollweißes Schaf verdanken Annie Way ihr Leben. Sie muss ein Prototyp sein, anders lässt sich das nicht erklären. Und anders lässt sich auch nicht erklären, dass wir plötzlich im Rückwärtsgang eingeparkt haben, als hätten wir unser Leben lang nichts anderes getan. Das war Annie Way. Das muss Annie Way gewesen sein.
Am Abend wollte ich noch einen kleinen Spaziergang machen und ging vom Campingplatz weg auf einem etwas zugewachsenen Pfad dem Meer entlang. Und wer kam mir entgegen, dort, wo sonst niemand herumstapfte? Das Ehepaar aus Stuttgart, mit dem ich mich in Andenes so gut unterhalten hatte. Die Frau freute sich so, dass sie mich umarmte.
Auch sie hatten die Fähre für den nächsten Tag gebucht, allerdings schon um sieben Uhr und nicht erst um elf wie ich. Also verabschiedeten wir uns, wünschten einander eine gute Reise und gingen unserer Wege.
Meiner führte mich die Bucht entlang in den nächsten Ort, wo ich zu einem Wasserfall abbog – eine Wanderung typisch für die Lofoten: spektakulär und wunderschön.
Am nächsten Morgen stand ich pünktlich 45 Minuten vor der Abfahrt bei der Fähre und kämpfte mit meinem Handy, das zickte und das Mail mit der Buchungsbestätigung nicht aufmachen wollte. Zum Glück hatte ich Fotos vom QR-Code gemacht, und das genügte.
Dann legte die Fähre an, die Fahrzeuge kamen heraus und die ersten fuhren hinein. Vonwegen Rückwärtsgang! In diese Fähre fuhr man gerade hinein, da sie vorne und hinten aufmachen konnte! Annie Way durfte sich außerdem ganz vorne hinstellen!
So viel zu meiner schlaflosen Nacht.