Freitag, 12. August 2022: Nordkap-Insel
Info:
Das Nordkap ist ein ins Nordpolarmeer hineinragendes Kap auf der norwegischen Insel Mageroya, auch Nordkap-Insel genannt. Auf die Insel gelangt man durch einen Tunnel unter dem Meer.
Das Nordkap ist nicht der nördlichste Punkt Europas. Es liegt 514 km nördlich des Polarkreises und 2100 km südlich des Nordpols. Allerdings ist es der nördlichste Punkt Europas, zu dem eine Straße führt.
Vom 20. November bis 22. Jänner geht die Sonne am Nordkap nicht auf und vom 14. Mai bis 29. Juli nicht unter.
Beim Wahrzeichen des Nordkaps, einem Globus, beginnt der Europäische Fernwanderweg 1, der über eine Strecke von 7000 km bis nach Sizilien führt.
Meine Meinung:
Da ich es nicht zum Nordkap geschafft habe, kann ich nichts dazu sagen. Die Landschaft auf dem Weg von Alta zur Nordkap-Insel ist unglaublich. Aber: Traue nie deiner Wetter-App, wenn du ans Nordkap fahren willst. Und dreh beim kleinsten Windhauch sofort um! Nämlich bevor du über mehrere Brücken gefahren bist und nicht mehr zurückkannst!
Tagebuch:
Am 19. Tag unserer Reise, dem 12. August, stand das Nordkap auf dem Programm. Und seither stelle ich sie mir, diese Frage, ob der eigentliche Gewinn im Scheitern bestehen kann. Ich denke schon. Denn immer, wenn ich in meinem Leben bisher gescheitert bin, ist danach etwas viel Besseres dahergekommen. Ich bin unterwegs, auf dem Weg, alles ist unbekannt, selbst das Ziel. Ich genieße das Alleinsein, aber es bedeutet auch, für alles selbst verantwortlich zu sein und alles selbst entscheiden zu müssen. Meine Entscheidung hieß: Ich scheitere. Punkt.
Auf dem Weg nach Skarsvag, wo ich einen Campingplatz nicht reserviert hatte, weil der Besitzer am Telefon meinte, das sei nicht notwendig, weil ohnehin nichts los sei, kamen wir nach Alta, Annie Way und ich, und hatten somit das Ende der E 45 erreicht. Ich blieb am Fjord – meinem ersten Fjord! – stehen, um ein Foto zu machen, aber der begrüßte mich etwas unhöflich mit Wind und Regen. Oder, um es anders auszudrücken, dort begann der Regen. Und dort begann der Wind. Der hatte uns zwar schon ab Kautokeino begleitet, aber ab Alta wurde er deutlich stärker. Und stärker. Und noch stärker.
Nördlich von Alta waren die Wälder dann zu Ende. Die Landschaft war gewaltig, man kann sich gut vorstellen, dass hier bis vor 10.000 Jahren kilometerdicke Gletscher durchzogen und alles abschliffen, was sich ihnen in den Weg stellte. Diese Energie ist noch spürbar.
Der Wind, der ohnehin schon extrem stark wehte, ließ sich zur allgemeinen Unterhaltung dann auch noch jede Menge Böen einfallen. Es wurde immer schwieriger, Annie Way auf der Straße zu halten. Teilweise fuhren wir nur mehr mit 40 km/h. Mit „wir“ meine ich diesmal alle Fahrer und Fahrerinnen. Es war zum Fürchten.
Auf die Nordkap-Insel kommt man durch einen Tunnel. Zuerst geht es steil bergab, dann einige Kilometer unter dem Meer gerade dahin und dann wieder steil bergauf. Sehr steil. Die Straße führt entweder direkt am Meer entlang oder über Hochebenen. Der Sturm steigerte sich zu etwas, das ich als Orkan bezeichnet hätte, und die Böen wurden immer heftiger. Besonders schlimm war es auf den Brücken.
In einer kleinen Ortschaft, die zwischen Meer und dem Steilhang eines Berges eingeklemmt war, stand ein Pärchen mit Rucksäcken im strömenden Regen und versuchte sich im Autostoppen. Da ich mich selbst so verunsichert fühlte, blieb ich nicht stehen. Sie reagierten ziemlich wütend, was sie mir durch ihre Gesten mitteilten. Eine Weile hatte ich ein richtig schlechtes Gewissen.
Auf einer Hochebene sah ich, wie ein Motorradfahrer vom Wind verblasen wurde. Er landete mit seiner Maschine zum Glück auf der weichen Hochmoorfläche und konnte auch noch herunterspringen, bevor sein Gefährt umfiel. Da die Autos und Wohnmobile vor mir stehen blieben, um zu helfen, fuhr ich weiter. Der Mann war eindeutig nicht verletzt, und zum Aufstellen des Motorrads konnte ich wenig beitragen.
In der Folge kam ich an mehreren Motorrädern vorbei, die irgendwo abseits der Straße lagen, mit den Fahrern und Fahrerinnen, die entweder versuchten, sie aufzustellen, oder sich hingesetzt hatten und warteten. Zum Glück schien niemand verletzt zu sein.
Der Sturm rüttelte an Annie Way, während wir die kurvige Straße auf eine Hochebene hinauffuhren. Ich bemerkte, dass ich komplett verkrampft war und mich am Lenkrad festgekrallt hatte, damit Annie Way auf der Straße blieb. Und gerade, als ich dachte, ich spinne, kam ich an einem Wohnmobil vorbei, das von der Straße hinuntergekippt war. Es lag da, mit den Rädern nach oben, so, als würde es strampeln. Wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen war.
Zwei Leute standen neben dem Wohnmobil und schützten sich mit Decken vor dem Wind. Einige Autos und Wohnmobile waren am Wegfahren.
Keine Sekunde zweifelte ich daran, dass das der Sturm verursacht hatte. Warum, weiß ich nicht. Aber es war so klar. Und da wusste ich auch, dass ich nicht übertrieb und wir wirklich in einer sehr gefährlichen Situation waren. Zurückzufahren erschien mir allerdings gefährlicher als weiterzufahren.
Also heute nicht zum Nordkap, sondern zuerst zum Campingplatz nach Skarsvag. Der ist ohnehin nur zehn Kilometer vom Nordkap entfernt.
Der Mann vom Campingplatz meinte scherzhaft, das sei nur Wetter, ich sollte sehen, wie es wäre, wenn sie schlechtes Wetter hätten. Aber selbst er gab zu, dass sie zu Herbstbeginn immer starke Stürme hätten. Mitte August sei das aber nicht normal, und vor allem diese Stärke sei ihm Zeit seines Lebens noch nie untergekommen.
Annie Way und ich verbrachten eine Nacht am Rande eines süßen, kleinen Dorfes am Ende eines Fjords in einer Landschaft, die mich sonst zum Purzelbaumschlagen gebracht hätte, so schön ist es dort. Aber ich hatte kein Auge dafür. Der Sturm heulte und rüttelte an Annie Way auf eine Weise, dass ich Angst hatte. Richtige Angst. Ich konnte zwar einschlafen, wurde aber immer wieder geweckt. Auch die Lautstärke des Winds und des Wolkenbruchs trug nicht unbedingt dazu bei, Vertrauen in meine unmittelbare Zukunft aufzubauen.