Samstag, 3. September 2022: Flam
Info:
Flam ist ein Ort mit 250 Einwohnerinnen und Einwohnern am Ende des Aurlandsfjords, der in den Sognefjord mündet. Bekannt ist es vor allem durch die Flambahn, die vom Meer auf eine Höhe von über 800 m nach Myrdal führt, wo sie Anschluss nach Bergen hat.
Meine Meinung:
Die Gegend ist wunderschön. Und es ist selbstverständlich ein Erlebnis, mit der Flambahn zu fahren. Sie gilt als eine der zehn schönsten Bahnstrecken der Welt.
Aber: Die Kreuzfahrtschiffe machen das alles irgendwie kaputt.
Tagebuch:
Flam liegt am Ende eines Fjords – wieder mal spektakulär – und wurde, als wir ankamen, von einem riesigen Kreuzfahrtschiff verschluckt. Das fuhr am Abend ab. Flam kam trotzdem nicht wieder zum Vorschein.
Auf dem Campingplatz von Flam bezahlte ich vorläufig für eine Nacht. Da ich aber die Flambahn im Voraus gebucht hatte, nahm ich an, dass wir eine zweite Nacht anschließen würden. Schließlich wollte ich Flam finden.
Der Ort, der nicht da ist, wo er sein sollte, wird geprägt von der Schiffsanlegestelle. Wenn ein Kreuzfahrtschiff am Ende des Fjords anlegt, beherrscht es die Szene, denn es überragt alles. Die Umgebung der Anlegestelle ist für die herausströmenden Menschenmassen eingerichtet. Verkaufshallen mit Souvenirs, Cafés, Restaurants, Kebap-Stände, Kunsthandwerk und jede Menge Kitsch empfangen die Schiffsreisenden. Wer einen Ausflug gebucht hat, wird auf ein kleineres Schiff gelotst, um den Fjord genauer betrachten zu können. Alle anderen verschwinden in den Einkaufshallen oder den Gastgärten.
Es war gespenstisch und erinnerte ein wenig an „Herr der Ringe“, die Szene, wo die Geister kommen und helfen, die Schlacht zu gewinnen. Oder wieder mal an den „Fluch der Karibik“, wenn die Geister in Scharen über den Meeresboden wandern.
An diesem Tag fand ich Flam nicht.
Gegen Abend saß ich gemütlich im Sessel neben Annie Way und betrachtete die Landschaft. Das gespenstische Kreuzfahrtschiff stieß ein paar eigenartige Töne aus. Als ich später noch einmal in die Richtung schaute, war es verschwunden. Als hätte es Flam mitgenommen.
Am nächsten Morgen, dem 41. Tag unserer Reise, checkte ich bei der Flam-Bahn ein. Ein noch größeres Kreuzfahrtschiff verschluckte den Fjord.
Die Bahnstrecke beginnt auf Meereshöhe gleich am Ende des Fjords, dort wo eigentlich der Ort Flam liegen sollte, was er aber nicht tut, weil dort das Kreuzfahrtschiff lag, und führt auf einer Strecke von zwanzig Kilometern hinauf auf eine Höhe von 811 Meter nach Myrdal. Wenn ich schon einmal da war, wollte ich sie mir nicht entgehen lassen.
Es war beeindruckend, wie die Bahn sich langsam nach oben bewegte, einem Tal entlang, und immer wieder spektakuläre Aussichten bot. Einmal macht sie sogar eine Schleife von 360 Grad durch einen Berg, um ein Stück über der ursprünglichen Strecke wieder herauszukommen. Anders ließ sich mit den damaligen Mitteln der Technik der Höhenunterschied nicht überwinden. Der Bau wurde 1923 begonnen.
Beim Kjosfossen, einem Wasserfall, blieb der Zug stehen, die Fahrgäste stiegen aus und bestaunten die Wassermassen. In diesem Tal soll einst die Huldra gelebt haben, eine Waldfee mit langen Haaren, die mit ihrem Gesang betörte. Tanzende Frauen neben dem Wasserfall erinnern an die Sage, in der ich eine der etwa 900 existierenden Frau-Holle-Varianten zu erkennen glaubte, da sie unter der Erde lebte und sich Kinder holte.
Bei der Fahrt hinauf unterhielt ich mich mit einem Ehepaar, das vor langer Zeit aus Ungarn geflohen war und jetzt in Norwegen lebte. Der Mann hatte während der Flucht längere Zeit in Wien verbracht und freute sich, eine Österreicherin zu treffen.
Von Myrdal fuhr ich wieder zurück. Hätte ich vorher gewusst, dass man die gesamte Strecke auch wandern konnte, wäre ich nicht wieder hinuntergefahren, sondern gegangen. Aber ich hatte weder meinen Wanderrucksack noch meine Stöcke mit dabei.
Stattdessen wanderte ich am späteren Nachmittag noch den Fluss entlang ins Tal hinein. Immer noch auf der Suche nach Flam. Und siehe da, ich kam an einer Siedlung vorbei und an einer Schule und schließlich auch an einer kleinen Holzkirche aus dem 17. Jahrhundert. Zumindest wusste ich nun, wo sich Flam früher befunden hatte. Wo es sich heutzutage versteckt, ist mir noch immer nicht klar. Aber angesichts der täglichen Gespenstershow mit den Kreuzfahrtschiffen ist es kein Wunder, dass es sich weigert, sich sehen zu lassen. Vielleicht schämt es sich. Das würde ich verstehen.