Freitag, 7. April 2023: Es geht los in Richtung Kanada!
Info:
Die Atlantic Sail ist ein RoRo- und Container-Schiff. Sie ist 296 m lang, 37 m breit und hat im Moment einen Tiefgang von 9,9 m. Ihr Baujahr ist 2016, und sie fährt unter der Flagge Maltas.
Tagebuch:
Heute um 2:17 Uhr legte die Atlantic Sail mit nur vier Tagen Verspätung vom Hamburger Hafen ab und ist jetzt unterwegs nach Antwerpen, wo sie um 23:00 Uhr ankommen wird. Dann geht es weiter nach Liverpool und schließlich quer über den Atlantik nach Halifax.
Mit an Bord sind Annie Way, Sally, Leona Löwenfeld und Leopold.
Ich habe den Verdacht, dass an diesem Tiefgang von fast zehn Metern unser Leopold nicht ganz unschuldig ist, denn er ist ziemlich schwer für einen so kleinen Löwen. Und wer weiß, wie viele blinde Passagier:innen sich noch an Bord befinden?
Aber jetzt der Reihe nach:
Wir fuhren am 28. März von Linz in Richtung Hamburg los, übernachteten nach etwa 600 km in einem zuvor gebuchten Quartier und legten am nächsten Tag den Rest der Strecke zurück.
Da der Parkplatz unseres Hotels nicht asphaltiert war und Annie Way durch eine Drecklatschn (auf Deutsch: schmutzige Pfütze) rollte, war sie bei unserer Ankunft in Hamburg ein wenig unsauber. In Kanada scheinen sie seit der Maul- und Klauenseuche in Europa etwas pingelig zu sein, weshalb die Autos sauber sein müssen, bevor sie aufs Schiff kommen. Eine richtige Unterbodenwäsche würde Annie Way noch am Hafen bekommen, aber auf der siebenseitigen Anleitung zur Abgabe des Wagens stand ausdrücklich, dass man in eine LKW-Waschanlage in der Nähe des Hafens fahren soll, wenn das Fahrzeug schmutzig ist. Um sich Scherereien zu ersparen.
Da ich mir unbedingt Scherereien ersparen wollte, fütterte ich Navita mit der Adresse der LKW-Waschanlage. Sie brachte uns auf direktem Weg hin. Da mir die Waschstraße wegen einiger Spritzer übertrieben schien, stellte ich Annie Way in der 2,8 m hohen Box ab und fragte eine Dame in der Nebenbox, wie das alles funktionierte, nachdem ich die Bedienungsanleitung dreimal gelesen hatte. Die erklärte es mir anders als die Bedienungsanleitung, und ich kannte mich aus. Drei Minuten, vier Euro und eine durchs Sprühen etwas lockigere Frisur später glänzte Annie Way wie neu, und Navita bekam die Adresse des O’swaldkais am Hamburger Hafen eingetippt, wo wir uns voneinander verabschieden würden – sofern das alles klappte.
Manchmal bin ich ein ziemliches Nervenbündel, und die siebenseitige Anleitung für die Fahrzeugabgabe verunsicherte mich so sehr, dass ich Magenschmerzen bekam. Zwei Stunden dauerte die ganze Prozedur durchschnittlich. Es soll schon Leute gegeben haben, die nach einer Stunde fertig waren.
Navita fand problemlos die Einfahrt zu dem Gebäude, wo man sich anmelden musste.
Auf dem Parkplatz herrschte leider das absolute Chaos. Gefühlte hundert Brummis auf gefühlten fünfzig Stellplätzen sorgten für ein ziemliches Durcheinander. Ich bog um 13:03 Uhr auf den Parkplatz ein und brauchte für die erste Suchrunde gleich einmal fast zehn Minuten. Dann schmiss ich die Nerven weg und stellte Annie Way im Halteverbot ab. Blieb mir ja gar nichts anderes übrig. Sollten sie mich strafen oder abschleppen! Aber eine beträchtliche Anzahl von LKWs stand auch im Halteverbot – es ging einfach nicht anders! Ich achtete allerdings genau darauf, dass Annie Way niemanden behinderte.
Warnweste angezogen und rein ins Gebäude, links in den Warteraum, in dem alle Sitzplätze von LKW-Fahrern belegt waren. Ich fragte, wo ich hier eine Nummer ziehen konnte. Draußen im Container vor dem Gebäude, wurde mir sehr freundlich erklärt.
Aha. Kaum war ich dort, fragten mich gleich einige LKW-Fahrer, was ich brauchte. Es gab Nummern für LKWs und für PKWs. Annie Way ist ein PKW. Einer der Männer zog eine Nummer für mich und meinte, es seien nur zwei vor mir, ich sollte gleich in den Warteraum gehen, weil es nicht lange dauern würde.
Kaum war ich drinnen, schaltete die Anzeige für PKWs auf meine Nummer und zeigte Schalter 8 an. Ich sah mich um, und sofort erklärte mir jemand, wo sich Schalter 8 befand. Im ersten Stock.
Ein freundlicher Herr nahm bei Schalter 8 meinen Pass in Empfang. Laut Anleitung hätte er sich auch meinen Führerinnenschein ansehen sollen, tat er aber nicht.
„Nach Halifax“, sagte er und tippte etwas in den Computer.
Dann schaute er mich an und fragte besorgt: „Und Sie wollen wirklich selbst da hineinfahren?“
„Ja … wieso?“ Mein Magen schrumpfte um etwa ein Drittel.
Er nahm ein Blatt mit einem Lageplan und meinte: „Die Schranken draußen haben Sie gesehen?“
Ich nickte.
„Hier haben Sie ein Gerät. Wenn das blinkt und pfeift, fahren Sie vom Parkplatz los zur Einfahrt Nummer 2. Das ist hier.“ Er markierte die Stelle auf dem Lageplan.
„Dort stellen Sie sich an. Wenn Sie dran sind, geht der Schranken auf und sie fahren vor bis zum zweiten Schranken. Dort stecken Sie dieses Papier in den Schlitz.“ Er hielt mir ein dickes, gelbes A4-Blatt mit einem Strich-Code hin. „Dann geht der Schranken auf und Sie fahren weiter. Das Blatt müssen Sie mitnehmen. Sie fahren gerade aus, am ersten Parkplatz vorbei, dann sehen sie links den PKW-Parkplatz, da fahren Sie hinein und stellen ihr Fahrzeug irgendwo ab. Als nächstes gehen Sie zu diesem Container hier.“ Er markierte ein Rechteck auf dem Lageplan. „Dort bekommen Sie die weiteren Anweisungen.“
Ich bedankte mich und zog mit der schwarzen Scheibe, dem Lageplan und dem gelben Blatt wieder ab in Richtung Annie Way.
Inzwischen hatte sich das Chaos ein wenig aufgelöst und ich entdeckte einen freien Parkplatz. Kaum hatte ich Annie Way am Ende abgestellt, so dass dahinter noch ein Brummi parken hätte können, fing die Scheibe an zu blinken und zu piepsen.
Also auf zu Einfahrt 2. Vor mir fuhr gerade ein VW-Bus hinein. Der erste Schranken ging hinter ihm zu. Der Fahrer fuhr zum zweiten Schranken und versuchte, sein gelbes Blatt in einen Schlitz zu stecken. Es gab zwei Schlitze an der Säule, einer oben für die Brummis und einer unten für die PKWs. Der obere war für den VW-Bus zu weit oben und der untere zu weit unten. Nach einigen Versuchen schien dem Fahrer klar zu werden, dass er ein Stück zurückfahren und aussteigen musste. Da kamen aber schon zwei Herren und erledigten das für ihn. Der zweite Schranken ging auf, und kaum war der VW-Bus draußen, hob sich der erste Schranken für Annie Way, und die Scheibe hörte auf zu piepsen und zu blinken. Ich blieb gleich ein Stück vor der Säule stehen, um auszusteigen, aber ich kam gar nicht dazu, denn einer der Herren nahm mir das gelbe Blatt aus der Hand und steckte es in den PKW-Schlitz – und schon ging der zweite Schranken auf.
Wir fuhren zum PKW-Parkplatz, das war nicht mehr als ca. 300 m. Kein Verkehr, nichts.
Am Ende des Parkplatzes, auf dem – wieder gefühlt – viele hundert Autos standen, die meisten fabrikneu, sah ich zwei – pfui! – Wohnmobile, und dort war noch Platz. Also parkte ich Annie Way bei ihren größeren Kolleg:innen.
Kaum war ich ausgestiegen, eilte mir ein freundlicher Herr entgegen, vertrieb noch schnell einen anderen Fahrer („Sie sind hier falsch!“) und nahm mir die schwarze Scheibe und das gelbe Blatt ab. Ich gab ihm Annie Ways Reserveschlüssel, er stieg ein, schaute sich alles an, fotografierte Annie Way außen von allen Seiten, fragte, ob es irgendwelche zusätzlichen Sperren gab, was ich verneinte, und meinte dann: „Ihr Shuttle ist da. Sie sind fertig. Sie können fahren.“ Das gelbe Blatt unterschrieb er noch und gab es mir zurück als Übergabebestätigung.
Das war’s.
Als ich am Ausgang aus dem Shuttlebus stieg, war es 14:01. Ich hatte nicht einmal eine halbe Stunde gebraucht.
Während sich mein Magen wieder auf seine Originalgröße erweiterte, wanderte ich zur nächsten S-Bahn-Haltestelle (Hamburg Veddel) und fuhr zum Hauptbahnhof. Mein Zug ging um 20:24 Uhr, ich hatte also gemütlich Zeit, etwas zu essen und einen laaaangen Spaziergang durch Hamburg zu machen. Und beides tat ich mit Genuss! Hamburg hat mir so gut gefallen, dass ich im November, wenn ich Annie Way nach unserem großen Abenteuer wieder abhole, sicher ein paar Tage dort verbringen werde.
Wie gesagt, seit heute ist Annie Way unterwegs nach Canada.
Man braucht die Atlantic Sail nur zu googeln – dann kann man genau mitverfolgen, wo sie sich gerade befindet.
Übrigens sind die Wellen im Moment nur etwas über einen Meter hoch. Fast tut es mir ein wenig leid, dass ich nicht mit auf dem Schiff bin.
Am 2. Mai sehe ich Annie Way, Sally, Leona Löwenfeld und Leopold wieder. Hoffe ich. Haltet uns die Daumen!
Gefällt mir wie du berichtest. Weiter so und allzeit Boden unter den Rädern. Lg Kurt aus Goli.
Werd mich bemühen. Danke!
Lg, Ursula
Ein gutes Ankommen heute und liebe Grüße an deine Reisebegleiter. Ich wünsche dir, dass alle wohlauf sind – ganz brsonders aber du.