Dienstag, 25. April 2023: Erinnerungen und Antworten.
Dieses Foto zeigt Königin Elisabeth II. 1952 bei ihrem Besuch in Kapuskasing in Kanada.
Um zu erklären, wie ich zu diesem Foto komme, warum ich so gern reise und wie alles begann, nehme ich euch mit auf einen Abstecher in die Vergangenheit.
Es geht um einen Jungen namens Kurt, der während des Zweiten Weltkriegs ab seinem sechsten Lebensjahr als Waisenkind bei einem Bauern aufwuchs, wo er schon sehr früh hart arbeiten musste. Trotzdem hatte der Bub, der im Stall schlief, gute Schulleistungen. Ein Lehrer sorgte schließlich dafür, dass er eine Lehre in der VÖEST machen konnte, sonst hätte er Holzknecht bleiben müssen.
Nach Kriegsende gab es Programme von verschiedenen Ländern, die jungen Leuten aus Österreich und Deutschland Arbeitsmöglichkeiten boten. Und so ging Kurt 1951 zusammen mit drei Freunden auf ein Schiff, fuhr nach New York und von dort weiter mit dem Zug nach Kapuskasing in Kanada – mitten im Nirgendwo.
Für eine Papierfabrik in Kapuskasing im Bundesstaat Ontario sollte er als Lumberjack tätig sein, einer jener legendären Holzfäller, die mit Pferden in den Wäldern arbeiteten und in der Wildnis in Camps wohnten, um den steigenden Bedarf an Holz für die Papierindustrie zu decken.
Zuvor hatte er in Linz ein Mädchen namens Anni kennen gelernt und sich verliebt. 1953 schickte er ihr das Geld für die Schiffspassage. Damals lebte er schon in Hamilton in der Nähe der Niagara Fälle und fing gerade an, Karriere zu machen. Nicht ganz die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär, aber es ging ein wenig in diese Richtung. Seine Traumfrau war allerdings in Österreich verwurzelt, sie hatte Eltern und Geschwister und wollte nicht weg. Deshalb kam er zurück ins arme Nachkriegs-Österreich. Kurz darauf heirateten die beiden.
1961 kam ich zur Welt.
Mein Vater arbeitete wieder in der VÖEST, wurde Obermeister im Ofenbau, dem späteren Feuerfestbau, und war auf Baustellen auf der ganzen Welt tätig. Er führte ein abenteuerliches, glückliches Leben mit einem großen Freundeskreis, vielen Interessen und vor allem seiner Familie als wichtigstem Ankerpunkt.
1988 war ich zum ersten Mal in Kanada. Ich schrieb ihm einen Brief aus Toronto, in dem ich ihm bestätigte, wie schön dieses Land ist. Zwei Tage, nachdem er diesen Brief bekommen hatte, starb er völlig unerwartet an einem Herzinfarkt. Das war kurz vor seinem 60. Geburtstag.
Kanada war Zeit seines Lebens sein Traumland geblieben. Er war aber nie wieder dorthin zurückgekehrt.
Die vielen Auslandsaufenthalte meines Vaters waren auch der Grund, warum Reisen in unserer Familie von Anfang an zu den Selbstverständlichkeiten des Lebens gehörte. Als Kind und Jugendliche fuhr ich mit meinen Eltern auf Urlaub. In meiner Studienzeit war ich schon zu Zielen unterwegs, die Anfang der 1980er Jahre durchaus als ungewöhnlich galten, Nigeria zum Beispiel. Die Welt zu erkunden, die Natur zu beobachten, andere Kulturen kennen zu lernen, zu erfahren, wie Menschen in fremden Ländern denken und leben – diese Neugier hat mich bis heute nicht verlassen.
Als ich 2019 nach dem Tod meiner Mutter ihre Wohnung ausräumte, fiel mir das alte Fotoalbum aus den 1950er Jahren in die Hände. Mein Vater als junger Mann auf einem Schiff, bei den Niagara Fällen, der Besuch von Queen Elizabeth II. in Kapuskasing … Mein Vater hatte nie viel von seinen Reisen erzählt, aber das Wenige hatte ich schon als Kind aufgesaugt und mir gemerkt. Ich glaube, dass der Name Kapuskasing in all den Jahren vielleicht zwei- oder dreimal fiel, und ich erinnere mich, gedacht zu haben: „Dort möchte ich einmal hin.“
Irgendwann setzte ich mich an den Laptop und schaute nach, wo dieses Kapuskasing liegt. Und tatsächlich, mitten in den Wäldern von Ontario gibt es eine Kleinstadt mit einer großen Papierfabrik an einem Fluss, der dort eine Biegung macht. Kapuskasing bedeutet in der Sprache der Cree „Biegung im Fluss“. Welch ein Zufall, dass sich der Name meiner Heimatstadt Linz vom keltischen Lentos herleitet, womit die Biegung gemeint ist, die die Donau dort macht.
Die Straße, die durch Kapuskasing führt, ist auf der Landkarte mit einem weißen Ahornblatt auf grünem Grund gekennzeichnet. Es handelt sich um die nördliche Route des Trans-Canada Highways, der über 8000 km von Nova Scotia am Atlantik bis nach Vancouver Island am Pazifik führt.
Und da war er plötzlich, dieser Gedanke: „Wenn man von Halifax über Kapuskasing nach Calgary fährt und einmal rechts und zweimal links abbiegt, landet man in Anchorage.“ Der nächste Gedanke brachte mich schlagartig in die Realität zurück: „Du bist ja völlig verrückt! Du kannst doch nicht allein quer durch Kanada nach Alaska fahren!“
Wildnis, Bären, Schotterstraßen, Wälder, Bären, die Rocky Mountains, Gletscher, Seen, Elche, habe ich Bären schon erwähnt? Ja, ich habe Angst vor Bären. Große Angst.
Kurz darauf fiel mir eine Karte mit einem Spruch in die Hände: „Wenn es dir Angst macht, könnte es einen Versuch wert sein.“ Ich stellte die Karte gut sichtbar auf ein Regal im Wohnzimmer und ertappte mich, wie ich immer wieder davor stehenblieb und wie sich das „Du bist ja völlig verrückt!“ in ein „Du kannst ja einmal drüber nachträumen!“ verwandelte.
Von da an schien sich alles wie von selbst zu ergeben. Diese Reise vorzubereiten war aufwändig, aber irgendwie fielen mir aus nebulosen Gedanken immer machbare Lösungen zu, fügten sich Puzzleteile aneinander und ergaben schließlich ein Bild, bei dem ich mir sicher war: Ja, so geht es!
Und so kam es, dass ich mich jetzt auf die Spuren meines Vaters begebe … und darüber hinaus.
Annie Way und die Gang (Sally, Leona Löwenfeld und Leopold) sind gut angekommen und warten bereits im Hafen von Halifax auf mich. Ich fliege am 1. Mai.
Liebe Ursula, jetzt hab ich in rein paar Minuten mehr über deine Familie und dich erfahren, als in den Jahren als Kollegin. Schon seltsam..
Ich war vor Jahren auf Spuren der Nordamerikanischen Indianer in Kanada, der USA und Mexiko unterwegs.. 7 Wochen durch Kanada, von Toronto bis nach Halifax, bei den Lakota in Northdakota mit Milo Yellow Hair und 5 Wochen durch Mexiko vom Hochland zum Pazifik.. Lange ist es her und noch immer sind die Eindrücke lebendig und prägend…
Ich wünsche dir eine schöne Zeit und freue mich auf deine Berichte…glg Ute
P.S.. der Hut steht für gut ;-))
Liebe Ursula – eine schöne Geschichte den Spuren deines Vaters zu folgen – ich wünsche dir eine wunderbare Reise und bin mir auch sicher: Wenn es Angst macht, könnte es den Versuch wert sein! Alles Gute 🍀 ich bin gespannt, wenn du deine Erlebnisse mit uns teilst – Caroline
Liebe Ursula,
ich wünsche dir eine traumhafte Reise ohne Begegnungen mit Bären. 🐻 Ich finde dich auf jeden Fall sehr mutig. Ich freue mich schon auf deine Berichte. 🌎
Ganz liebe Grüße
Renate