Samstag, 6. Mai 2023: Wenn ein Umweg zum Glücksfall wird!
Info:
Die Website von St. John in New Brunswick behauptet, die Stadt sei ein besonderer Platz, wo sich der St. John Fluss und die Bucht von Fundy treffen. Kanadas erste eingetragene Stadt ist dabei, sich selbst neu zu erfinden.
Die Industriestadt verfügt über den drittgrößten Hafen Kanadas. Fast 70.000 Menschen leben hier.
Das Besondere an der Bay of Fundy ist, dass der Unterschied zwischen Ebbe und Flut 8 m beträgt. Der St. John River fließt vor der Mündung durch eine enge Schlucht, was dazu führt, dass bei Flut das Wasser des Flusses zurückgepresst wird. Die Reversing Falls sind ein Naturschauspiel besonderer Art.
Im Zentrum gibt es einiges zu sehen, die Markthalle und den St. James Square zum Beispiel, aber auch ein Stadtbummel bietet immer wieder überraschende Aus- und Einblicke.
In der Umgebung befinden sich mehrere Naturschätze, zum Beispiel der Geopark, der Irving National Park und der Rockwood Park.
Meine Meinung:
Wir campierten im Rockwood Park mit einer wunderbaren Aussicht auf die nicht ganz so wunderbare Stadt. Und trotzdem hat mich St. John dann so „gepackt“, dass ich blieb. Bei den Reversing Falls war ich sogar dreimal!
Tagebuch:
Manchmal landet man irgendwo, wovon man vorher gar nicht wusste, dass es das gibt – und es passt einfach!
Da standen wir beim Campingplatz in Amherst, auf dessen Website ich gelesen hatte, dass man ab April reservieren kann. Zu meiner großen Überraschung bedeutete das nicht, dass der Campingplatz im April schon geöffnet hatte. Es bedeutete auch nicht, dass er im Mai geöffnet hatte.
Ich telefonierte ein wenig herum, aber sämtliche Campingplätze in der Umgebung waren noch geschlossen. Ein Herr fragte mich, in welche Richtung ich unterwegs sei. Nach Toronto. Da empfahl er mir Rockwood in Saint John, das seien nur 200 km, und die Richtung stimmt auch.
Naja, die Richtung war ein Umweg, aber als ich in Rockwood ankam, war mir sofort klar, dass das so etwas wie Liebe auf den ersten Blick war. Und deshalb bezahlte ich gleich für zwei Nächte. Selbst auf die Gefahr hin, dass St. John nichts zu bieten hätte – was sich dann keineswegs bewahrheitete -, aber der Wald und die Seen von Rockwood … Da MUSSTE ich einfach wandern gehen!
Außerdem brachte mir die junge Dame bei der Anmeldung das gesamte Camping-Vokabular bei, das ich brauchte. Ich erzählte ihr, dass das mein erster Tag auf einem Campingplatz in Canada sei, und sie erklärte mir alles mit der hier üblichen Freundlichkeit und Geduld. Full hook-up, sewing und so. Jetzt kennen wir uns aus beim Camping! Und was das Beste war: Sogar einer der Anschlüsse, die ich für Annie Ways Wasserschlauch mitgenommen hatte, passte! So bekam sie gleich ihren Wassertank gefüllt. Und ich hatte endlich wieder das eigene Klo zur Verfügung!
Der Rockwood entpuppte sich als wunderschöner Wald mit einigen Seen.
Ich liebe Kanadagänse. Nicht nur, weil sie immer dann, wenn meine Kamera gerade im Rucksack steckt, im sprichwörtlichen Vogel-V laut schnatternd den Himmel durchqueren. Damals in Ohio habe ich eine Weile an einem See gewohnt, wo im Frühling die Kanada-Gänse brüteten. Wenn ich zu meiner Wohnung wollte, musste ich an ihnen vorbei. Die Ganter hatten das Bedürfnis, ihr Revier zu verteidigen, was ich einsah, aber den langen Umweg wollte ich trotzdem nicht in Kauf nehmen. Ein Kanadaganter kann schon sehr groß und bedrohlich aussehen, wenn er – Bauch hinein, Brust heraus, Oberkörper und Hals nach vorne gestreckt – laut schnatternd auf einen zukommt. Es dauerte etwa zwei Wochen, bis es mir reichte. Ich ging auf den ersten Ganter zu – Bauch hinein, Brust heraus, Oberkörper und Hals nach vorne gestreckt -, und siehe da, er rannte um sein Leben! Viele Jahre später bedrohte mich ein Zwei-Meter-Mann mit einem Messer. Da fielen mir die Kanadagänse ein. Bauch hinein, Brust heraus und so weiter. Zwei Sekunden später rannte der Angreifer vor mir davon. Ich muss wohl zum Fürchten sein. Aber ich liebe Kanadagänse. Sie haben mich etwas Wichtiges gelehrt. Und sie sind sich ein Leben lang treu. Das finde ich sehr romantisch.
Auch andere Tiere zeigten keine Scheu vor mir.
Bei den Reversing Falls herrschte bei meinem ersten Besuch Low Tide, also Ebbe, und es tat sich nicht sehr viel. Da das Wasser der Bucht aber am Steigen war, erlebte ich in den 15 Minuten, die ich dort war, die ersten Strudelbildungen. Sie waren zwar noch nicht heftig, aber trotzdem schon beeindruckend.
Der Stadtbummel hatte es in sich. Ich habe noch nie so viele originelle, zum Teil leicht schräge oder verrückte Auslagen gesehen! Es machte einfach Spaß, durch die Straßen zu gehen! Außerdem werden in St. John offensichtlich gern die Hausmauern angemalt – in unterschiedlicher Qualität, aber immer ein Hingucker.
Die Markthalle ist zwar nicht besonders groß, aber so bunt und originell, wie ich es nach diesem Stadtbummel erwartete. Daneben befinden sich die Universität und der King’s Square, ein netter Park, der sternenförmig angelegt ist.
Es war nichts Spektakuläres in dieser Stadt, und trotzdem … ich fühlte mich wohl dort. Dass die Leute freundlich waren, ist mittlerweile klar, das scheint eine kanadische Eigenschaft zu sein. Aber die Atmosphäre der Innenstadt mit diesem leicht schrägen Touch hatte es mir angetan.
Bei meinem zweiten Besuch bei den Reversing Falls ging es dann schon einigermaßen zur Sache, auch wenn noch ein paar Meter bis zur High Tide fehlten.
Immerhin machte mich dieses Naturschauspiel so neugierig, dass ich vor unserer Abfahrt noch einmal nachschauen ging, was gerade in der Schlucht los war. Leider war wieder Ebbe.
Und so fuhren wir weg von St. John, wo wir gar nicht hinwollten, weil wir nicht gewusst hatten, dass es das gibt. Was ich jetzt aber weiß: Dieser Stadt verdanke ich wunderbare Erinnerungen. Zuhause ist kein Ort, sondern ein Gefühl. In Rockwood bzw. Saint John habe ich mich sofort wohl gefühlt.