Montag, 15. Mai 2023: Wir sind da!
Hallo Leute,
habt ihr mich vermisst? Oder ist euch gar nicht aufgefallen, dass ich mich nicht gemeldet habe?
Wobei, eigentlich wollte ich schon die längste Zeit an den Laptop, aber die Ursula hat immer eine Ausrede gehabt. Ist nicht aufgeladen. Annie Way hat zu wenig Strom. (Das kann gar nicht sein mit der Solaranlage!) Jetzt ist keine Zeit. (Na wann denn sonst?) Ich brauch den Laptop selbst. (Doch nicht 24 Stunden am Tag!)
Sehr verdächtig, diese Ausreden.
Ich weiß auch, warum die Ursula nicht will, dass das Faultier erzählt, was so los war in letzter Zeit. Weil es der Ursula so furchtbar peinlich ist, dass sie gehofft hat, es käme nicht raus. Als „gnadenlos“ hat sie mich bezeichnet. Ja, Gnädigste, los geht’s.
Allerdings zuerst von Anfang an. Wir waren ja über vier Wochen in Dunkelhaft, die Leona, der Leopold und ich. Das war schon schlimm, aber die Überfahrt selbst war gar nicht so tragisch. Die Ursula hat gesagt, dass sie unsere Reise im Internet mitverfolgt hat und dass das andere Leute auch taten. Das hat uns sehr gefreut.
Eingesperrt zu dritt im Oberschrank über Annie Ways Tisch. Und das nur, weil der Leopold zu schwer war für den Koffer! Wären es nur Leona Löwenfeld und ich gewesen, hätten wir mit Ursula mitfliegen können! Aber dann wäre der Leopold nicht nur in Dunkelhaft, sondern auch in Einzelhaft gesessen. Das konnten wir ihm nicht antun.
Anfangs wurden wir noch als die Crew von Annie Way bezeichnet, das war nett, aber dann ist irgendjemand damit dahergekommen, dass wir die Gang sind. Und in Deutschland (!) tauchte auch noch das Gerücht auf, dass die Lionfields in New York ihr Unwesen trieben und die Bronx aufmischten. Leute, das waren nicht wir. Wir saßen im Oberschrank und konnten nicht raus. Ehrlich. Ich war noch niemals in New York.
So, aber jetzt zu Ursula. Zumindest war das Erste, was sie gemacht hat, als sie Annie Way abholte, dass sie uns aus dem Oberschrank befreit hat. Das rechnen wir ihr hoch an. Auch, dass wir vorne sitzen durften. Sie hat sich einfach so gefreut, uns zu sehen.
Dann haben wir eine Rundfahrt durch den Hafen von Halifax gemacht. Die Ursula hat nämlich nicht mehr hinausgefunden, und Hinweisschilder gab es nicht. Halifax hat einen sehr großen Hafen.
Am Nachmittag fuhren wir zum Walmart. Da begann die Sache mit dem Gas. Die Verkäuferin behauptete, die Gasflasche sei voll. Ursula sagte nein, die sei für einen vollen Twenty-Pounder viel zu leicht. Sogar die Managerin wurde gerufen, die behauptete auch, das Ding sei voll. Ursula war sich zwar sicher, dass sie leer war, trotzdem kaufte sie sie. Am nächsten Tag haben wir sie gegen eine volle bei Petro Canada umgetauscht, nachdem die Ursula sie angeschlossen hatte und der Herd nicht funktionierte.
Die Ursula hat sich geplagt, die neue Gasflasche anzuschließen, die war ja jetzt viel schwerer. Es hat auch geklappt. Dachte sie. Aber als sie den Herd aufdrehen wollte, kam kein Gas. Die Funken funkten, das heißt, Annie Way lieferte brav den Strom, aber das Zischen, das zu hören ist, bevor die Flammen kommen, blieb aus. Also zurück zu Annie Ways Gaskasten, der sich links hinten befindet, alles noch einmal aufgeschraubt und wieder verbunden. Mit dem zusätzlichen Verbindungsstück zwischen dem europäischen und dem amerikanischen System war das gar nicht so einfach. Zurück zum Herd. Sicherheitsventil aufgedreht. Das hatte sie zuvor vergessen. Herd aufgedreht. Die Funken funkten, aber nichts zischte.
Ursula nahm das Handy zur Hand und schrieb eine Nachricht. Und noch eine. Und bei einem Telefonat erwähnte sie es auch.
Zwischen Wartberg im Mühlviertel und Westminster in Colorado drehten sich unzählige Gedanken um unseren Gasherd. Mails und WhatsApp-Nachrichten mit Lösungsvorschlägen kamen an.
In der Zwischenzeit ging Ursula spazieren. Wir waren zu diesem Zeitpunkt schon in Lunenburg, und Annie Way stand vor dem Motelzimmer. Weil es so saukalt war, hatte Ursula noch keine Lust aufs Campen.
Als sie von ihrem Spaziergang zurückkam, fuhr sie mit Annie Way und uns zur nächsten Tankstelle. Dort war ein sehr eifriger Herr, der hinter Annie Way sogar auf die Knie ging, um die Gasflasche richtig anzuschließen. Wobei, sie war ohnehin richtig angeschlossen, nur seiner Meinung nach nicht fest genug. Seither ist die Ursula überzeugt, dass sie die Gasflasche nie wieder abschrauben wird können, wenn die mal leer ist. Ich habe das Gefühl, sie spart deshalb ein wenig mit dem Gas.
Um den Herrn bei der Tankstelle nicht ganz leer ausgehen zu lassen, kaufte Ursula eine zweite Gasflasche. Macht ja Sinn, eine in Reserve zu haben, auch wenn man sie nicht montieren kann, weil die andere zu fest an der Leitung hängt.
Trotzdem funktionierte der Herd nicht. Dreimal probierten sie es bei der Tankstelle. Sicherheitsventil auf, Knopf auf Gas beim Herd, Knopf zum Zünden gedrückt. Funken. Sonst nichts. Also schrieb der Herr von der Tankstelle die Adresse einer Firma auf, die sich nicht allzu weit von Lunenburg entfernt befand, und wo die Ursula das reparieren lassen könnte.
Am Abend fiel ihr ein, dass auch die Heizung am Gas hing. Ohne Herd konnte sie überleben, aber ohne Heizung … nicht bei diesen Temperaturen! Die Beschreibung für all diese Dinge liegt in einem Keller in Leonding. Das ist in Österreich und nicht sehr hilfreich. Die Ursula musste lachen, als ihr klar wurde, dass sie Annie Ways Bedienungsanleitung vergessen hatte.
Also von vorn. Leitung bei der Gasflasche aufgedreht, Sicherheitsventil der Heizung aufgedreht, Annie Ways Lüftung auf 4, den Drehregler auf Heizen und 5. Nichts. Die Ursula wollte schon wieder abdrehen, da begann die 5 beim Drehregler plötzlich grün zu leuchten, und unter der Sitzbank war das fröhliche Brummen der Heizung zu hören.
Die Ursula setzte sich nieder. Dann probierte sie es mit dem Ofen. Sicherheitsventil geöffnet, Knopf auf Gas gedreht, Knopf zum Zünden gedrückt, nichts außer Funken.
Nach zwei Nächten im Motel, während derer Leona, Leopold und ich in Annie Way logierten, begrüßte uns Ursula am Morgen mit einem sehr bestimmten Unterton: „So Leute, heute geht’s los. Ab jetzt sitzt ihr wieder hinten.“
Dann nahm sie sich viel Zeit, gute Plätze für uns zu finden. Leona kam auf ihren angestammten Platz zwischen den Kopfstützen der Rückbank, Leopold wurde auf meinem früheren Sitz beim Sicherheitsgurt angebunden, wo er während der Fahrt abrutschte, und ich landete ganz oben auf der Konsole für den Fernseher, den wir nicht haben. An der Wand zwischen Leona, Leopold und mir hat die Ursula jede Menge Bilder von allen möglichen Leuten aufgehängt: von ihrem Sohn, Freundinnen und Freunden, aber auch ihre Mutter und ihr Vater sind zu sehen. Und Karten, die ihr Freundinnen mitgegeben haben. Und Hilde, eine kleine Wichtelin, hängt knapp unter mir. Sie sagt, sie ist der gute Geist von Annie Way. Vielleicht nehmen wir sie sogar in die Gang auf. Mal sehen.
Weil die Ursula gerade dabei war, alles für die erste längere Fahrt vorzubereiten, probierte sie auch das Gas noch einmal aus. Bei der Flasche aufgedreht, Sicherheitsventil für den Herd geöffnet, Knopf auf Gas gedreht, Knopf zum Zünden gedrückt. Die üblichen Funken. Sonst nichts.
Wir fuhren 20 km nach Bridgewater zu einem Wohnmobilhändler mit Werkstatt. Leute, ich sage euch, da standen Riesen herum, unglaublich! Dagegen ist Annie Way winzig!
Ursula ging hinein und kam kurz danach mit einem Zettel zurück. Da gab es einen mobilen Mechaniker, der sei für solche Sachen zuständig, den solle sie anrufen.
Dazu hatte sie eindeutig keine Lust. Der Zettel landete in der Ablage, und wir fuhren los. Zuerst nach Amherst in Nova Scotia, wo sie sich einen Campingplatz im Internet gesucht hatte, der aber noch nicht geöffnet hatte, und dann 200 km weiter nach St. John in New Brunswick auf einen ganz tollen Campingplatz neben einem Wald.
Dort ging die Ursula zuerst einmal wandern und kam total selig zurück. Kanadagänse! Aus irgendeinem Grund steht sie auf Kanadagänse. Wo sie doch ein Faultier und zwei Löwen hat!
Und weil sie gerade so gut drauf war, drehte sie die Gasflasche auf, das Sicherheitsventil, drehte den einen Knopf auf Gas und drückte dann sowohl den Gasknopf als auch den Knopf zum Zünden gleichzeitig, es zischte, die Funken funkten, und die Flammen waren da.
Sie drehte wieder ab und setzte sich. „Sally, ich bin so ein …“ Das Wort, das sie sagte, wiederhole ich jetzt nicht.
Der ganze Aufwand, weil sie vergessen hatte, dass sie beim Ofen beide Knöpfe gleichzeitig drücken musste! Vielen Dank, Wartberg! Vielen Dank, Westminster. Wir fragen euch wieder, wenn der Gastank leer ist und wir nicht wissen, wie wir ihn abschrauben sollen, weil der Herr von der Tankstelle das Quint kaputt gemacht hat und es so einen Adapter in Nordamerika nicht zu kaufen gibt! Aber wir sagen euch nicht, dass eine von uns zu blöd war, den Herd aufzudrehen, denn ihr habt so wunderbar versucht, uns zu helfen, und in Wirklichkeit war alles in Ordnung.
Seither ist die Ursula total locker geworden. Was soll uns jetzt noch passieren? Schließlich haben wir das Gasproblem gelöst.
Das in Wirklichkeit gar kein Problem war.
Man wird doch mal vergessen dürfen, wie man einen Herd aufdreht!
Und sich beim Parkscheinautomaten nicht auskennen dürfen. Und bei der Metro in Montreal nicht wissen dürfen, wie man zu einem Ticket kommt. Und beim falschen Campingplatz landen dürfen, wenn man einen ganz anderen 50 km weiter reserviert hat. Und an der Mautstelle die Kreditkarte dreimal hinhalten dürfen, weil man nicht checkt, dass der Schranken längst aufgegangen ist. Und sich in Montreal verlaufen dürfen. Und in Quebec plötzlich mit Annie Way mitten in der Altstadt beim Chateau Frontenac landen, obwohl man die Stadt weitläufig umfahren wollte. Und drei verschiedene Stromadapter kaufen dürfen, bis man den richtigen hat.
Das ist alles kein Problem. Auch nicht, dass die Armbanduhr stehen geblieben ist und Ursulas Kamera nicht mehr funktioniert. Kein Problem. Die Ursula nimmt das locker.
Leute, ich denke, sie hat Recht. Wir haben es geschafft. Wir sind da und haben zwei Wochen bestens hinter uns gebracht. Trotz aller Peinlichkeiten und Pannen. Die waren in Wirklichkeit Peanuts.
Jetzt ist es nicht mehr weit nach Kapuskasing. Und darüber hinaus.
Also lasst uns einfach mal zu weit gehen und uns dort ein bisschen umsehen!
Eure Sally
Ihr seid ein Dream Team, die Ursula und die Gang! Wobei, eigentlich ist Ursula ein fixer Teil davon, oder? Ich bewundere Ursulas Kreativität beim Aussuchen von Sitzplätzen, oder Plätzen, wo jemand sitzen soll. Ich durfte mich samt meinen 190 cm einmal vor viiielen Jahren- in ihrem eher als kompakt zu bezeichnenden- Ford Modell Fiesta zwischen Beifahrersitz u Windschutzscheibe einquetschen, da der Sitz von Sperrholzplatten in Beschlag genommen war… aber, fast alles ist besser als hinter einem Auto Herzklopfen! Also, liebe Gang, Ursula hat für euch gute Plätze gewählt, gute Reise weiterhin!
Sally, Leona Löwenfeld, Leopold und Hilde bedanken sich herzlich für die guten Wünsche. Wir suchen schon die längste Zeit für Leopold einen Platz, wo er während der Fahrt nicht abrutscht und dann im Sicherheitsgurt hängt, aber wir finden nichts. Es wird wohl doch der Beifahrer:innensitz werden …
Wie wir dich damals an die Windschutzscheibe gepresst haben, werde ich nie vergessen! Und dann haben wir vom Chef noch eine auf den Deckel gekriegt, weil wir drei Minuten zu spät gekommen sind. Aber was aus den Sperrholzplatten gemacht wurde, war den ganzen Aufwand auf jeden Fall wert, finde ich. Und du hast dich ja auch wieder bestens erholt 😉
Ja, manches bleibt unvergesslich! Eigentlich hätten wir die von den Schülerinnen zu Kunstwerken veredelte Sperrholzplatten teuer verkaufen sollen! Und, ja, ich habe mich irgendwann auch erholt. Aber einen Fiesta werde ich mir sicher nie zulegen. Ich assoziieren damit seltsamerweise das Wort Sardinenbüchse….