Donnerstag, 8. Juni 2023: Bison oder nicht Bison, das ist die Frage!
Info:
Der Grassland National Park liegt ganz im Süden von Saskatchewan und grenzt an die USA. Er besteht aus zwei Teilen, die nicht verbunden sind. Im westlichen Teil gibt es seit einigen Jahren wieder Bisons.
Meine Meinung:
Ich bin am Überlegen, ob ich nach Alaska nicht einfach zurückkomme und den Rest meines Aufenthaltes in Val Marie verbringe.
Tagebuch:
Offensichtlich hat Saskatchewan etwas, das mich fasziniert. Schon Regina hat mir so gut gefallen!
Auf der Fahrt auf dem Transcanada Highway weiter nach Westen bog ich bei Moose Jaw nach Süden ab. Nach einer Weile wurde die Gegend immer einsamer. Felder, Weiden, Felder, Weiden. Sehr große Felder und sehr große Weiden. Eine Ranch. Schön, wenn man die Nachbarschaft im Blick hat: irgendwo am Horizont. Prärie, so weit das Auge reicht, und das Gras so unglaublich grün. Wie viel Dramatik doch im Nichts liegen kann!
Dann wurden die Ranches (Ranchen? Was ist auf Deutsch die Mehrzahl von Ranch? – Bauernhöfe!) noch spärlicher, und irgendwann fuhr ich einmal 30 km, ohne ein Auto, ein Haus oder einen Menschen zu sehen. Auch die Qualität der Straßen nahm deutlich ab. Und plötzlich schlug die Straße einen Haken, und ich stand in Val Marie.
In diesem Ort ist die Zeit ein wenig stehen geblieben. Dass die Straßen nicht asphaltiert sind, ist klar. Die kanadische Entspanntheit ist hier entspannter, es scheint, als könnten hier alle Menschen genau so leben, wie sie es sich wünschen, ohne große Zwänge von außen. Zumindest machen sie den Eindruck. Wie weit die sozialen Zwänge in einer kleinen Gruppe so weit weg von Vergleichbarem dann wirken, wage ich nicht zu beurteilen.
Die freundliche Dame vom Grassland National Park Visitor Center empfahl mir zwei Trails zum Wandern und schickte mich zum Einchecken ins Büro der Stadtverwaltung. Ortsverwaltung wohl eher. Val Marie ist ein Dorf. Aber sie haben eine Eishalle für eine Eishockey-Mannschaft.
Ich betrat ein Gebäude, bei dem mir nicht klar war, was es genau war, und fragte den Herrn am Schalter, ob er für den Campingplatz zuständig sei. Ich hätte Site 3 gebucht und schon bezahlt.
Er lächelte und meinte, dann hätte ich nicht herkommen brauchen. Wir kamen ins Gespräch, als ich sagte, wie wunderschön ich die Gegend fand. Hier könnte ich mir vorstellen zu leben – wenn nicht die Menschen, die ich liebe, ganz woanders wären. Da begann er ebenfalls, von der Gegend zu schwärmen.
Und plötzlich fragte er: „Sprechen Sie Deutsch?“
Verdammt, ist mein Akzent so furchtbar?
Und siehe da, er stammte aus Deutschland, war am Bodensee aufgewachsen und dann irgendwann nach Michigan gegangen. Dort hatte er eine Kanadierin kennen gelernt und sei mit ihr nach Val Marie gezogen. Kein Stress, alles ist gemütlich, man braucht nicht einmal ein Auto, außer man will in den Nationalpark fahren. Er verbringt viel Zeit im Nationalpark, der ist noch schöner als die Gegend außerhalb.
Ich fuhr zum ersten Trail, den mir die freundliche Dame vom Visitor Center empfohlen hatte, obwohl sie gemeint hatte, dass das heute nichts mehr wird, weil es zu regnen beginnen würde. Ich beschloss, dass es das nicht würde, landete wieder einmal ganz woanders, aber immerhin im Nationalpark, und ging dort ein wenig wandern. Die Sache mit den Bisons war nicht so sehr das Problem, die ließen sich ohnehin nicht blicken, wobei ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich zuerst eine Herde schwarzer Rinder von weitem für Bisons gehalten habe. Waren sie aber nicht.
Die Sache mit den Klapperschlangen war auch egal, es zeigte sich keine, was mir fast ein bisschen leidtat, denn seit ich das letzte Mal in den USA in den Rockies war, hatte ich keine mehr gesehen. Und das ist schon 22 Jahre her. Klapperschlangen sind nämlich richtig schön. Alle Schlangen sind eigentlich richtig schön.
Die dritte Sache, vor der die freundliche Dame vom Visitor Center mich eindringlich gewarnt hatte, war allerdings wirklich lästig. Zecken. Nicht so kleine nette Krabbeldinger, wie wir sie in Österreich haben, sondern relativ große, die noch dazu springen können. Und wie! Das muss eine spezielle Kreuzung mit Flöhen sein! Fürchterlich, und das, obwohl ich extra meine lange Wanderhose trug und mir die Hosenbeine in die Socken steckte. Noch zwei Tage später fand ich einen in Annie Ways Schuhkiste und musste ihn eine Weile jagen, bis ich ihn rausschmeißen konnte. Ich hoffe, er ist wirklich draußen gelandet.
Davon abgesehen … unbeschreiblich. Und dabei belasse ich es. Wie soll man etwas beschreiben, was nicht nur schön ist, sondern das Herz so sehr berührt, dass man überwältigt ist?
Am nächsten Tag fuhr ich dann zum Haupteingang des Nationalparks, von wo aus man mit dem Auto 15 km hineinfahren kann und etwa alle 500 m zu einem Aussichtspunkt kommt, wo es Informationstafeln mit Erklärungen gibt. Die Gegend war ursprünglich ein seichtes Meer, wo sich der Kontinent eine Weile nicht sicher war, ob er sich teilen sollte – das habe ich schon bei Thunder Bay und den dortigen Tafelbergen des Grabenbruchs erzählt. Was heute Saskatchewan ist, stand unter Wasser. Und war so sehr mit der Wanderschaft vom Äquator nach Norden beschäftigt, dass es nicht rechtzeitig bremste und wieder ein Stück zurückkommen musste, um dort zu landen, wo es heute ist. Wäre irgendwie schade darum gewesen …
Und dann kam die Eiszeit. Vor 18.000 Jahren war hier der Höhepunkt. Und vor 9.000 Jahren, als die Gletscher abschmolzen, zog sich ein Fluss durch das Tal, wo heute der Grassland National Park ist, der mit dem Amazonas vergleichbar gewesen wäre und alles mitriss. Das wiederum glaube ich nicht. Ich war am Amazonas. Und ich habe das Tal im Grassland National Park gesehen. Das geht sich nicht aus. Keine Chance.
Es ist trotzdem groß, dieses Tal.
Ich ging dann nicht wandern, weil die Stationen so interessant waren und man dort ohnehin immer ein Stück gehen konnte, sodass ich schon einiges an Kilometern geschafft hatte, als ich endlich bei dem Trail ankam, den mir die freundliche Dame vom Visitor Center für diesen Tag empfohlen hatte. Außerdem war mir nach Regen.
Es gibt einen 60 km langen Backcountry-Loop, den man mit dem Auto fahren kann. Ich fuhr ein kleines Stück, weil ich wissen wollte, wie sich Annie Way im Gelände verhält, aber das war ohnehin vollkommen klar. Annie Way kann fahren. So richtig. Immer und überall. Und manchmal hilft auch mein australisches Outback-Training ein bisschen mit. Corrugations sind Corrugations, egal wo, und du hüpfst entweder drüber oder du kriechst drüber. Hüpfen ist lustiger, erfordert aber Nerven. Annie Way hat Nerven wie Drahtseile.
Bis auf die Schmetterlinge. Die haben uns beide genervt. Wir hatten eine Schmetterlingsinvasion. Frisch geschlüpfte Nachtfalter, die schlichtweg überall waren, in jeder von Annie Ways Ritzen. Wenn man ihre Hintertüren öffnete, saßen sie dort. Sogar in ihrem Gasflaschenkasten saßen sie. In den Schlitzen, wo immer die Parkscheine verschwinden. Und meine Moskitovorhänge erwiesen sich als Multitasking-Talente, sie wirken nicht nur gegen Gelsen, sondern auch gegen Schmetterlinge. Gegen die meisten zumindest.
Versuch mal, auf dem Campingplatz unter der Dusche zu stehen, wenn hundert Schmetterlinge aufgeregt herumflattern, weil sie nicht nass werden wollen!
Es dauerte zwei Tage und 600 km, bis wir die letzten loswurden.
Was soll ich sonst noch erzählen? Es gibt so viel an Informationen zum Grassland National Park, aber ich plage euch jetzt nicht mit den zehn wichtigsten Grasarten, von denen drei Eindringlinge sind (und das intensive Grün bewirken), mit den Tieren, die dort leben, mit dem Ökosystem …
Die Bisons … Das erzähle ich euch schon noch. Es gibt wieder Bisons im Park. Ich war bei den ersten beiden Stationen so mit der Landschaft, den Steinen, den Flechten, den Präriehunden, den Vögeln und den Pflanzen beschäftigt, dass ich überhaupt nicht an Bisons dachte. Bei der dritten Station fragte mich eine Frau, ob ich den Bison gesehen hätte. Auf der anderen Seite des Tals, von Station 2 aus betrachtet. Sie hatte ihn fotografiert. Okay, ihre Kamera ist weit besser als meine zweite (die erste habe ich erfolgreich in der zweiten Woche meines Kanada-Aufenthalts ruiniert), ich hätte so ein Foto sowieso nicht machen können. Da stand ein mächtiger Bison auf einem Felsvorsprung vor dem rötlichen Gestein des Abhangs.
Als ich, weil mir nach Regen war, dann am späten Nachmittag endlich den Nationalpark verließ, schaute ich bei der Station 2 vorsichtshalber in die Richtung, wo die Dame den Bison fotografiert hatte. Da stand ein mächtiger Bison auf einem Felsvorsprung vor dem rötlichen Gestein des Abhangs.
Den exakt gleich aussehenden mächtigen Bison sah ich dann als Werbung noch woanders stehen.
Annie Way und ich erreichten rechtzeitig vor dem Regen den Campingplatz.
An zwei Begegnungen möchte ich mich unbedingt erinnern. Da war eine Kanadierin, die in Australien lebt und schön öfter in Linz war. Und dann sprach mich am schönsten Platz im Grassland National Park ein Mann auf Deutsch an: „Sind Sie aus Linz?“ Er war in Linz geboren und als Fünfjähriger 1954 mit seinen Eltern nach Toronto gekommen. Er war fast zu Tränen gerührt, mit jemandem nicht nur Deutsch, sondern Linzerisch reden zu können. Und seine Frau, mit der wir Englisch redeten, machte mir ein ganz wunderbares Kompliment. Sie meinte, wenn sie es nicht gewusst hätte, wäre sie nicht auf die Idee gekommen, dass ich keine Kanadierin bin. War zwar geflunkert, aber:
You made my day. All of you. (Including the bison.)
Mit viel schmunzeln und mit interesse verfolge ich deine Abenteuer. (Gasofen Probleme ),
Respekt wie du deine schwächen darstellst und so rüberbringst dass man denkt ich war da auch dabei!!!!!