Dienstag, 27. Juni 2023: Auf der Suche nach dem Gold!
Info:
Barkerville ist eine Heritage Village, eine Art Freilichtmuseum, am Originalplatz der größten Goldfunde des Cariboo Gold Rush. Die Stadt wurde 1862 von Billy Barker gegründet, der ein Jahr zuvor am Williams Creek Gold gefunden hatte. Mitte der 1860er Jahre lebten dort 5000 Menschen aus aller Welt, etwa die Hälfte davon Chinesen.
Deutsche Mädchen wurden nach Barkerville verkauft und mussten dort als Tänzerinnen arbeiten (Hurdy-Gurdy-Girls).
Meine Meinung:
Wieder so ein Zufallsglücksfall … glücklicher Zufall. Zu sehen und zu erleben, wie ein Goldgräberdorf aussah, geht weit über das Wissen hinaus, das man sich durch Bücher aneignen kann! Barkerville war zwar ein Umweg, aber das war’s auf jeden Fall wert!
Tagebuch:
Nach dem Abschied von Donna und Paul fuhr ich in Richtung Prince George, wobei mich der Weg durch den Mount Robson Nationalpark führte. Der Mount Robson ist mit fast 4000 m der höchste Berg der kanadischen Rocky Mountains.
Bei den Overlander Falls blieb ich stehen und wanderte die kurze Strecke durch den Wald zu den Fällen. Immerhin gehörten die Overlander mit zu dem Thema, das mich in den nächsten Tagen beschäftigen sollte. Eine Gruppe von ca. 150 Männern und einer Frau machte sich 1862 von Fort Garry, dem heutigen Winnipeg, aus auf, um auf dem Landweg über die Rocky Mountains zu den Gebieten zu kommen, wo man Gold gefunden hatte.
Anschließend nahm ich mein Mittagessen mit Blick auf den Mount Robson ein. Ich habe ohnehin schon öfter erwähnt, dass ich manchmal überwältigt bin von dem, was ich sehe und erlebe. Die Overlander Falls und der Mount Robson waren wieder so ein Erlebnis, das mich mit Staunen und großer Dankbarkeit erfüllte.
Prince George ist jetzt eine Stadt mit ca. 80.000 Menschen, am Zusammenfluss des Fraser Rivers und des Nechako Rivers gelegen. Wo sich heute der Lheidli T’enneh Memorial Park befindet, entstand Anfang des 19. Jahrhunderts das Fort George, ein Trading Post der North West Company, gegründet von Simon Fraser.
Ich schaute mir den Platz an, wo einst der Friedhof der Lheidli T’enneh am Fraser River war. Vom Fort und der First Nation-Siedlung ist nichts übriggeblieben, wohl aber eine Schule und der Bahnhof aus der Zeit um 1910.
Prince George ist ein nettes Städtchen. Egal, aus welcher Richtung man kommt, die Umgebung liegt um einiges höher, und man muss zuerst ein längeres Stück bergab fahren, um ins Zentrum zu gelangen. Ich machte einen Spaziergang auf Cottonwood Island (diesmal Mittagessen am Fluss). Außerdem verbrachte ich einige Zeit im Exploration Place, einem Museum für Geschichte und Wissenschaft, wo ich Exponate des Burgess Shale entdeckte! (Wo sie gefunden wurden, habe ich euch bei meiner Wanderung um den Emerald Lake gezeigt.) Wunderschön, die Fossilien in dem dunkelgrauen Gestein!
Nach zwei Nächten in Prince George brach ich auf nach Barkerville zu meiner Reise in die Vergangenheit.
Die Idee dazu verdankte ich meiner Schreibkollegin Jana Beck, die ein Buch geschrieben hat mit dem Titel „Chicago in Flammen“, wo es um den großen Brand von Chicago im Jahr 1871 ging. Die Hauptfigur, Louisa aus Deutschland, hatte vorher in Barkerville als Hurdy-Gurdy-Girl gearbeitet. Da lag der Gedanke nahe, dass das nächste Buch die Vorgeschichte sein sollte: Louisas Zeit in Barkerville.
Und da ich sowieso in der Gegend war, nahm ich eine Woche Auszeit von der Fahrt in Richtung Alaska und fuhr statt nach Dawson Creek nach Prince George und dann nach Süden, nach Barkerville.
Es war vom ersten Moment an total spannend. Ich habe zwei Tage dort verbracht und noch immer nicht alles kennen gelernt, was es zu erfahren gibt. Das Thema ist so vielschichtig: der Fund des Goldes, die Geologie, die Geografie, wie die Goldminen aussahen, wie gearbeitet wurde, wie die Menschen dort lebten, was sie anhatten, wie sie mit der Heimat in Verbindung blieben, wie sie versorgt wurden, was das Essen kostete, woher sie kamen, wie sie hinkamen, wie es dort aussah, die Technik des Cornish Wheels, wie die chinesischen Arbeiter hausten, wie die First Nation behandelt wurden, … darüber wurden ganze Bücher geschrieben. Oder dass chinesischen Mädchen während der Ch’ing Dynastie die Füße gebunden werden mussten, wodurch sie kaum gehen konnten und schon gar nicht reisen. Dass 15 % der chinesischen Arbeiter die zweimonatige Schiffsreise nicht überlebten. Dass die Bibliothek einer der wichtigsten Plätze war, dort wurden den Goldgräbern die Zeitungen aus der Heimat vorgelesen – zwar waren es die Nachrichten von vor einem halben Jahr, aber immerhin.
Ich machte eine Menge Fotos und schickte sie an Jana Beck. Außerdem kletterte ich am letzten Abend in das Flussbett des Williams Creek und holte einige kleine Steine aus dem Wasser. Einfach so aus Sentimentalität. Es sind nur Steine. Aber sie werden nach Alaska reisen und nach Kalifornien und nach Ohio und nach Österreich. Ob per Schiff oder per Flugzeug, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall zuerst einmal mit Annie Way.
Zum Glück war kein Bär am Williams Creek, als ich dort am Wasser stand. Ich hatte nämlich wieder mal keinen Bear Spray mit … (Aber es wollte mich ohnehin nur ein Hund anfallen.)
Eine Nacht verbrachte ich noch einmal in Prince George, und dann ging es endlich nach Dawson Creek.
Die Informationen, die ich in Barkerville bekam, sind so umfangreich, dass ich gar nicht wüsste, wo ich anfangen sollte. Mir hat der Besuch dort ein besseres Verständnis gegeben für das, was sich beim Goldrausch abspielte. Die Schicksale der Menschen, die mit so viel Hoffnung die Reise per Schiff um Südamerika herum oder quer über den Pazifik von China aus auf sich nahmen oder auf sich nehmen mussten, die zum Teil ausgebeutet wurden, nach Hause wollten, aber sich die Rückreise nicht leisten konnten und Jahr um Jahr hart arbeiteten, bis es endlich so weit war … während andere tatsächlich reich wurden und in netten Häusern lebten – all das war interessant und berührend. Barkerville war eine Multikulti-Gesellschaft, wo schon vor Abschaffung der Sklaverei in den USA Menschen aus allen Kontinenten zusammen lebten. Trotzdem gab es extreme Unterdrückung, was die Chinesen und die indigene Bevölkerung betraf.
Man findet an vielen Stellen in Canada Gedenkschilder, wo der jeweilige Premier irgendwann in den letzten zwanzig Jahren sich entschuldigt hat für das Unrecht, das den Menschen geschehen ist. Fast wirkt es, als würde Justin Trudeau hauptberuflich durch das Land rasen, um all das wieder gut zu machen und die Hand zur Versöhnung zu reichen. Barkerville hat zwei solcher Tafeln, eine für die chinesische und eine für die indigene Bevölkerung. Eigentlich sollte es eine dritte haben. Für die Hurdy-Gurdy-Girls.
Ich bin sehr froh, dass ich diesen Abstecher in die Vergangenheit gemacht habe. Ich hatte mehrere Aha-Erlebnisse, die mich manches besser verstehen ließen – sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.