Mittwoch, 2. August 2023: Nicht Simpson, sondern Spit!
Info:
Und auch mit der Odyssee hat dieses Homer nichts zu tun, wenn man davon absieht, dass es von Homer nur mehr per Schiff (oder Flugzeug) weitergeht. „Where the land ends and the sea begins“ ist das Motto des Städtchens mit seinen 5.500 Menschen. Hier endet auch der Alaska Highway #1.
Der Homer Spit ist ein über sieben Kilometer langes und sehr schmales Stück Land, das in die Kachemak Bay hinausreicht. Es entstand als Moräne eines Gletschers. Auf dem Homer Spit befinden sich mehrere Campingplätze und sämtliche Hafenanlagen. Er ist das touristische Zentrum von Homer, und der äußerste Punkt heißt Land’s End.
Beim Erdbeben von 1964 verlor der Spit fünf Meter seiner Höhe.
Meine Meinung:
Auch wenn sich das Leben der Besucher:innen in Homer hauptsächlich auf dem Spit abspielt, ist die Stadt es wert, dass man sie sich genauer ansieht. Was mich betrifft: Ich hatte den Campingplatz oben auf der Klippe mit Traumaussicht auf die Vulkane, die Kachemak Bay und Homer für vier Tage gebucht. Das stellte sich als zu wenig heraus, also blieb ich fünf Tage. Wieder so ein Ort, wo das Wegfahren schwerfiel.
Tagebuch:
Weil der Homer Spit ein paar Tage vor meinem Eintreffen wegen eines Seebebens im Nordpazifik und des Tsunami-Alarms evakuiert werden musste, wodurch mitten in der Nacht eine Karawane hunderter unglücklicher Camper:innen entlang der Tsunami-Evacuation-Route auf die Hügel hinaufzog, suchte ich mir einen Campingplatz, bei dem der Tsunami schon 100 m hoch sein hätte müssen, um mich von der Klippe zu stoßen. Allerdings ging die Klippe senkrecht nach oben, und ein entsprechendes Erdbeben hätte da durchaus eine Katastrophe auslösen können.
Und ein Vulkanausbruch. Als Teil des Ring of Fire befinden sich sieben Vulkane ganz in der Nähe. Der Ring of Fire ist ein 40.000 km langes Band am Rand der Pazifischen Platte, wo es durch die Plattentektonik häufig zu Erdbeben und Vulkanausbrüchen kommt. Augustine war von Annie Ways Platz deutlich sichtbar, und sie dampfte fröhlich vor sich hin. Auf den Aleuten hatte es einige Tage zuvor einen Vulkanausbruch gegeben, der aber mit dem Seebeben nichts zu tun hatte.
Als ich mich mit einem Einheimischen unterhielt, fragte ich ihn, wie man so viele Leute bei einem bevorstehenden Tsunami rechtzeitig vom Spit evakuieren kann. „Oh, you can’t“, meinte der. Das kann man nicht. – Womit er wahrscheinlich Recht hat – je nachdem, wie schnell der Tsunami Homer erreichen würde. Der Alarm vor meinem Eintreffen war zum Glück ein Fehlalarm, nicht jedes Erdbeben löst einen Tsunami aus, aber die Sirenen gehen an, sobald es eines gibt.
Den ersten Tag verbrachte ich einfach am Strand. Das Klima in Homer ist sehr mild, es hatte etwa 20°C, und die Einheimischen warfen sich wegen der Hitze in den eiskalten Pazifik, in den ich freiwillig nicht einmal eine Zehe reinstrecken würde.
Übrigens ist Homer für seine Peony-Farmen bekannt, wo Pfingstrosen gezüchtet werden. Die waren gerade am Aufblühen – Anfang August.
Als ich am zweiten Tag auf den Spit fuhr, um mir anzusehen, von wo die Fähre nach Seldovia ablegte, war ich überrascht. Die Campingplätze waren zwar ein Massenalptraum, und jedes nur mögliche Eckchen wurde als Parkplatz verwendet, aber im Grunde gefiel mir der Spit. Man ist komplett von Meer umgeben, die Seeotter liegen gemütlich im Wasser, der Wind pfeift, bunte Boote sind unterwegs, es gibt Cafés und Restaurants und kleine Läden – richtig nett. Aber ich war froh, dass ich dort nicht campieren musste. Ein Massenauflauf. Es gibt aber auch ruhige Plätze und einen Gehweg, der bis ans Land’s End führt. Mit Aussicht aufs Meer und die Kachemak Bay vor einem kleinen Restaurant zu sitzen und eine köstliche Bowl mit Gemüse und Lachs zu genießen … das hat schon was!
Homer war der am weitesten von zu Hause entfernte Punkt meiner Reise. Das ist auch ein Grund, warum ich einen Tag länger blieb. Die Halbzeit war bereits überschritten, und ab Homer würde ich auf der Rückreise sein. Irgendwie konnte ich es nicht glauben, es so weit geschafft zu haben.
Und dann empfahl mir jemand, die Fähre über die Bucht nach Seldovia zu nehmen und dort ein paar Stunden zu verbringen. Das wäre noch ein Stück weiter … allerdings ohne Annie Way, denn die Fast Ferry befördert nur Personen.
Einfach mal zu weit gehen und sich dort ein bisschen umsehen … Ich fuhr nach Seldovia, wanderte dort ein wenig herum, setzte mich auf die Terrasse eines Restaurants mit Blick aufs Meer und nahm einen köstlichen Caesar Salad zu mir, wanderte wieder ein wenig herum und saß eine Weile an einem Strand mit Blick hinüber auf die Seite der Bucht, wo Homer liegt.
Seldovia hat eine kleine russisch-orthodoxe Kirche. Manche Ortsnamen in Alaska zeugen von der russischen Vergangenheit des Landes. Eigenartig für mich, dass sich Russland jetzt im Westen befand, und zwar gar nicht so weit weg. Tatsächlich liegen Russland und Alaska nur etwas mehr als vier Kilometer auseinander, weil sie sich eine Inselgruppe in der Beringstraße teilen: Big Diomedes gehört zu Russland, Little Diomedes zu den USA. Zwischen den beiden verläuft nicht nur die politische Grenze, sondern auch die Datumsgrenze.
Die Rückfahrt von Seldovia nach Homer mit der Fähre war gleichzeitig der Beginn meiner eigenen Rückfahrt. Um das zu feiern, sprangen vier Wale aus dem Wasser – oder einer viermal, das weiß ich nicht. Buckelwale scheinen das Springen zu lieben. Wieder so ein unglaubliches Erlebnis!
Ja, es passte. Es war Halbzeit, und ich hatte schon so viel erlebt und erfahren und an Einsichten gewonnen und mit unzähligen Menschen geredet, Meinungen ausgetauscht, Erkenntnisse erlangt, hatte einen ganzen Kontinent mit all seinen Zeitzonen und verschiedenen Klimazonen kennen gelernt, hatte das Gefühl eingeatmet, was es bedeutet, in so einem weiten Land zu sein, hatte mir bisher unbekannte Kulturen erkundet … Diese Menge an Eindrücken zu verarbeiten, war manchmal gar nicht so einfach und funktioniert bei mir am besten, wenn ich schreibe. Insofern ist der Travelblog nicht nur ein Reisebericht für die Menschen, die mich gedanklich begleiten und mich so wunderbar mit Nachrichten unterstützen und ermutigen, sondern auch meine Art, das Erlebte für mich selbst begreifbar zu machen. Denn es ist immer noch so, dass ich es oft gar nicht fassen kann, was ich sehe, erfahre, kennen lerne. Für das alles empfinde ich Dankbarkeit. Nicht nur für die Reise selbst, sondern auch für die Unterstützung, die ich bekomme. Ich habe das Gefühl, völlig sicher zu sein, denn all die guten Wünsche, die Glücksbringer und Schutzsymbole, die ich geschenkt bekommen habe, und auch die Fotos der Menschen, die mir wichtig sind – all das trägt mich durch sämtliche Ängste, Unsicherheiten, Hoppalas und Begegnungen mit Eichhörnchen, Bären und Seeadlern. Mir kann überhaupt nichts passieren. Das ist völlig unmöglich.
Apropos Seeadler. Da stand Annie Way oben auf der Klippe im Sonnenschein, und ich saß in meinem bequemen Sessel, trank Kaffee und genoss die Aussicht auf die Bucht und den Vulkan draußen am Meer, der eine weiße Wolke in die Luft sandte. Plötzlich verdunkelte sich die Sonne, etwas Riesiges kam von hinten und zog nur zwei oder drei Meter über mir durch die Luft. Es war ein Seeadler, der häufig auf einem Baum keine zehn Meter von uns entfernt saß. Unser Platz war seine Einflugschneise. Normalerweise sieht man Seeadler nur von weitem, da merkt man nicht, wie groß sie tatsächlich sind. Aber wenn so ein Tier mit seinen zwei Metern Flügelspannweite direkt über einem ist … Meine Güte!
Homer war nicht nur der Beginn des Rückwegs, sondern auch der Beginn des Heimwegs. Einen Ort zu haben, zu dem man heimkehren kann, ist etwas Wunderbares. Auch wenn einer der Sprüche, die ich in Annie Way aufgehängt habe, lautet: Zuhause ist kein Ort, es ist ein Gefühl. Aber mit dem Gefühl ist für mich ein Ort verbunden. Mein Sohn, Freundinnen und Freunde, Linz, die Donau, die Cafés, Theater, Parks … und natürlich meine kleine Wohnung in der Innenstadt. Das alles bedeutet Zuhause für mich. Dorthin bin ich unterwegs. Und darauf freue ich mich total. Es hat schon einen Vorteil, in Linz zu leben. Die Eichhörnchen schimpfen nicht. Bären gibt es auch keine. (Noch nicht.) Und ich kenne mich dort aus. Einigermaßen zumindest.
Weil schon August war, buchte ich auch gleich Annie Ways Rückreise von Halifax nach Hamburg. Sie fährt am Mittwoch, dem 25. Oktober 2023, um 17:00 Uhr auf der Atlantic Star vom Hafen in Halifax ab und kommt am Sonntag, dem 5. November, um 7:00 Uhr morgens in Hamburg an – zumindest laut Fahrplan. Ich fliege am 25. Oktober am Nachmittag von Halifax nach Montreal und von dort nach Wien, wo ich am Donnerstag, den 26. Oktober 2023, am Vormittag ankomme und den nächsten Zug nach Linz nehme. Ob ich Sally und der Gang wieder die Reise in Annie Ways Oberschrank antue, weiß ich noch nicht. Leopold ist zwar sehr schwer, aber irgendwie wird er schon im Koffer Platz haben.
In Homer ließ ich es mir so richtig gut gehen. Faultage!
Im Alaska Island and Ocean Visitor Center erfuhr ich, dass ein Teil des Zweiten Weltkriegs auf den Aleuten stattgefunden hatte und welche Auswirkungen das auf die Natur und die Bevölkerung bis heute hat. Wissenschaftler:innen verbringen jedes Jahr mehrere Monate auf den unbewohnten Inseln, um die Vogelbestände und andere Tiere und Pflanzen zu erforschen und Veränderungen zu dokumentieren. Vom Visitor Center führte ein Weg mit vielen Informationstafeln durch die Marschlandschaft bis zum Strand.
Einen Platz gibt es in Homer, dort fuhr ich jeden Tag hin. Ganz oben auf der Hügelkette hinter der Stadt ist ein Aussichtpunkt, der einen atemberaubenden Ausblick auf die Kachemak Bay bietet. Wenn ich von dort weiterfuhr in Richtung Campingplatz, gab es Stellen, wo zwei weitere Vulkane des Ring of Fire draußen im Meer zu sehen waren – komplett mit Schnee bedeckt.
Nicht weit von Homer, nur ein paar Kilometer nordwestlich, liegt der Ort Anchor Point. Auf meinem Weg nach Whittier machte ich dort in der Nähe Halt mit Blick auf diese Vulkane. Das war der westlichste Punkt meiner gesamten Reise. Von nun an geht’s nach Osten! Natürlich auch nach Süden und zum Schluss wieder nach Norden, aber so weit nach Westen komme ich nicht mehr.