Mittwoch, 23. August 2023: Ein aktiver Vulkan!
Info:
Auf der State Route 504 – The Memorial Spirit Lake Highway – gelangt man durch eine atemberaubend schöne Landschaft im Süden des US-Bundesstaates Washington in die Gegend, wo sich vor mehr als vierzig Jahren eine Katastrophe ereignete. Vor dem Ausbruch war der Mount St. Helens 2.950 m hoch. Er galt als ruhend, aber nach mehreren Erdbeben ab dem 20. März 1980 brach er am 18. Mai aus. Ein Gebiet von 500 km2 wurde zerstört bzw. auf Dauer verändert, 57 Menschen kamen ums Leben, 3 km3 Gestein wurden bewegt, und zum Schluss war der Mount St. Helens nur mehr 2.539 m hoch.
Aber er wächst wieder.
Meine Meinung:
Faszinierend zu sehen, wie sich die Natur regeneriert und mit der Veränderung umgeht.
Tagebuch:
Wir sind wieder bei Geologie, Plattentektonik, Biologie – also bei allem, wofür ich bereit bin, Umwege in Kauf zu nehmen.
Allein die Straße – The Memorial Spirit Lake Highway 504 – ist eine Meisterleistung mit insgesamt vierzehn Brücken. Die Hoffstadt Creek Bridge ist 713 m lang und 113 m hoch.
Eine der Brücken – die letzte – wurde im Frühling 2023 unterspült, sodass man derzeit nicht so weit zum Vulkan gelangen kann wie sonst, aber immerhin, sieben Meilen (11,2 km) Luftlinie sind nicht so übel. Als diese Brücke kaputt ging, war eine Gruppe von mehreren Leuten auf der anderen Seite. Sie waren auf einem der Trails unterwegs. Einer der Wandernden hatte gerade sein Auto durch einen Diebstahl verloren und war zum ersten Mal mit dem neuen unterwegs. Das steht immer noch auf der anderen Seite der Brücke … (Zumindest hat mir das ein Ranger so erzählt.)
Von weitem ist der Vulkan zu sehen, dem der Gipfel fehlt. Der ist nämlich runtergerutscht, und die Gesteinsmassen füllten das Tal des Toutle Rivers auf eine Höhe von 50 m über dem ursprünglichen Flussbett auf. Heute grasen dort Elks – natürlich nur, wenn ich nicht auf der Aussichtsplattform stehe, um sie zu sehen.
1981 wurden 10.000 Tonnen Gras- und Kleesamen über die graue Fläche verstreut, um den Boden zu stabilisieren und Überflutungen weiter unten gelegener Dörfer zu verhindern.
Bevor er seinen Gipfel abwarf, war der Mount St. Helens ein Vulkan, wie man ihn sich vorstellt: perfekt symmetrisch und mit Schnee auf der Spitze. Ein wunderschöner Schichtvulkan, wie der Vesuv oder der Ätna. Der Fujiyama ist auch so einer.
Und damit sind wir wieder bei der Plattentektonik. Wie wir wissen, sind Platten Stücke der Erdkruste, die irgendwann einmal auseinandergebrochen ist und deren Einzelteile seither auf dem Erdmantel schwimmen. Und gegeneinanderprallen, sich aneinander reiben, sich unter oder über die anderen schieben – wie das halt so ist.
Mit dem Ring of Fire habe ich euch in Alaska schon gequält. Von Homer aus konnte ich einige der Vulkane sehen, die am Rand der Pazifischen Platte herumstehen und gelegentlich für Aufregung sorgen.
Auch der Mount St. Helens ist nicht allein. Im Umkreis von hundert Kilometern sind da noch der Mount Rainier, der Mount Hood und der Mount Adams. Ungewöhnlich ist beim Mount St. Helens nur, dass er viel zu weit westlich im Kaskadengebirge liegt, um sein Magma von der Juan-de-Fuca-Platte zu beziehen, die sich dort unter die Nordamerikanische Platte schiebt, aber beim Mount St. Helens noch nicht tief genug ist, um schon zu schmelzen. Wäre ja zu einfach, wenn immer nur die Pazifische Platte schuld an allem wäre. Aber dort in der Gegend zwängt sich noch eine Platte mitten hinein, ist ohnehin vergleichsweise winzig, ein Plättchen sozusagen, aber das sorgt für ziemlich viel Wirbel. Nur nicht unter dem Mount St. Helens. Also dürfte dort überhaupt kein Vulkan stehen, denn wo kein Magma unten drunter, da kein Vulkan obendrauf.
Es steht aber trotzdem einer dort. Weil sich der Mount St. Helens sein Magma nämlich vom Mount Adams holt. Der liegt nur 50 km weiter westlich, also genau dort, wo er aus dem Vollen schöpfen kann. Genug Magma für zwei!
So einfach ist es natürlich nicht, aber ich bleibe bei der Kürzestfassung, weil ich noch etwas über den Ausbruch und die Folgen erzählen will.
Als die Nordseite des Mount St. Helens während des Ausbruchs abbrach, wurde superheißes Wasser, das zuvor im Gestein eingesperrt war, freigesetzt. Der Wasserdampf und andere Gase führten zu einer Explosion, bei der die Felsen zersplittert wurden und ein heißer Wind die Steine mit einer Geschwindigkeit von über 1000 km/h forttrug. Pulverisiertes Gestein, so fein wie Kristallzucker, legte sich über die Gegend und zerstörte einen Großteil der Pflanzen- und Tierwelt. Der Wind sandstrahlte Bäume, deren Nadeln und Blätter mitgetragen wurden und sich auf dem Boden ablagerten. Die Stämme ganzer Wälder lagen anschließend grau da, entlaubt und entnadelt. Aber auch riesige Felsbrocken wurden durch die Luft geschleudert.
Drei Jahre nach dem Ausbruch begann sich das Leben zu erneuern. Pflanzen, deren Wurzeln nicht zerstört waren, trieben aus. Andere, die das Glück gehabt hatten, im Windschatten von Bäumen zu stehen, erholten sich langsam wieder. Für die Menschen stellte sich die Frage: aufforsten oder der Natur ihren Lauf lassen? Es wurde beides gemacht, an unterschiedlichen Stellen.
Wo sich heute der Coldwater Lake befindet, mäanderte vor dem Ausbruch ein Bach durch das Tal, der Coldwater Creek. Als der Nordteil des Mount St. Helens nach unten rutschte, blockierte das Gestein den Bach. Das Tal füllte sich im Laufe der Jahre mit Wasser, sodass ein 8 km langer und 55 m tiefer See entstand.
Der Mount St. Helens gibt immer noch keine Ruhe. Der Krater füllt sich mit einer Lava-Kuppel, die ständig wächst. Wenn es regnet oder schneit, steht eine Dampfwolke über dem Krater und zeugt davon, wie heiß es da oben zugeht.
Seit dem großen Ausbruch gab es noch mehrere kleinere, der letzte fand 2008 statt.