Hallo Leute,
wir sind wieder in Nova Scotia in der Nähe von Halifax. Und stellt euch vor, als wir heute so am Strand rumgehangen sind, während die Ursula einen Waldspaziergang gemacht hat, was glaubt ihr, wer da plötzlich vor uns stand?
Der Antonio! Wenn ihr euch erinnert, das war der Schmuggler, der uns noch in Hamburg aus dem Oberschrank befreit hat, bevor wir über den Atlantik gefahren sind. Und der geglaubt hat, dass ich die Große Rosalia bin und der Leopold Leopoldo ist, der Mann fürs Grobe.
Ich glaube, es wird Zeit, dass ich euch die ganze Wahrheit erzähle. Die richtige ganze Wahrheit. Das hätte ich von Anfang an tun sollen. Da hat der Leopold schon Recht gehabt.
Also: Da waren wir bei dem Treffen der Bosse aller Gangs der Bronx. Ich als die Große Rosalia, vor der sie fast auf die Knie gefallen sind, und der Leopold als mein Bodyguard. Ich bin auf dem Tisch am langen Ende gesessen, der Leopold ist schräg hinter mir gestanden, und die Leona ist neben mir gesessen, als meine Vertraute. Oder so. Es hat sich eh niemand fragen getraut, wer sie ist. Die waren alle völlig erstarrt vor Respekt und ein bisschen auch vor Angst. Weil am Anfang, da hat einer geglaubt, er muss ein wenig auf lässig spielen, und da hat der Leopoldo gebrüllt.
Leute, ich sage euch, das war nicht nur ein Brüllen. Das war ein BRÜLLEN. Ich habe einen Moment lang Angst gehabt, der bläst mich vom Hocker! Ich musste ja so tun, als sei ich das gewöhnt, aber in Wirklichkeit hätte das in die Hose gehen können. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Nachdem das geklärt war, dass da niemand auf lässig spielen brauchte, ist alles gut gelaufen.
Sie haben Frieden geschlossen und sich gegenseitig versprochen, sich keine Bandenkriege mehr zu liefern und auch mit den Schutzgelderpressungen aufzuhören.
Bevor wir wieder abfuhren, ist das mit dem Leopold passiert, dass er dem Antonio aus der Hand gerutscht ist. Weil er einfach so schwer ist. Also kein Wunder. Der Antonio hat uns in die Stretchlimousine gesetzt und ist noch einmal ins Haus zurückgegangen, weil der Leopold ein wenig schmutzig war und er ihn bürsten wollte.
Kaum war er weg, ist die Putzfrau aufgetaucht, die drinnen im Haus gearbeitet hat. Eine kleine Frau, die leicht gebeugt daherkam, alt und runzelig.
Sie hat mich angesehen und gemeint: „Soso, die Große Rosalia! Das ist fantastisch.“
Ich war ein wenig verunsichert, denn sie hatte so überhaupt nicht das unterwürfige Gehabe, das die Gangbosse an den Tag gelegt haben. Also habe ich mit so strenger Stimme wie möglich gesagt: „Was meinst du damit?“
„Ich meine damit, dass es fantastisch ist, dass du die Große Rosalia spielen willst!“
Das war aber jetzt ein wenig verwirrend. Wie kommt die Putzfrau dazu, mir zu unterstellen, dass ich die Große Rosalia nur spiele, wo ich doch … hoppla, wo ich doch Sally the Sloth bin?
„Was unterstehst du dich! Wie kommst du auf die Idee, dass ich nicht Rosalia bin?“ Ich hoffte inständig, dass das nicht zu ängstlich klang.
Die Putzfrau richtete sich auf, und auf einmal war sie keine kleine, gebückte Frau mehr, sondern ein furchteinflößendes Wesen, und kein bisschen alt und runzelig. „Weil ich die Große Rosalia bin. Und es ist mir sehr recht, dass sie dich jetzt dafür halten, denn wie ich meine Pappenheimer kenne, wird bald einer von ihnen genug von dem lieben Frieden haben, den ihr heute ausgemacht habt, und dann wird es der Großen Rosalia an den Kragen gehen. Also dir.“
Mit einem boshaften Lachen hat sie sich wieder in die runzelige, gebückte Putzfrau verwandelt und ist ins Haus zurückgekehrt.
Jetzt hatten wir den Salat. Anschließend wurde der Leopoldo vom Antonio noch saubergebürstet, und wir sind nach Halifax geflogen.
Auf unserer Reise durch Kanada und die USA haben wir uns sehr sicher gefühlt. Woher sollten die denn wissen, wo wir gerade waren, wenn oft nicht einmal die Ursula selbst gewusst hat, wo wir gerade waren. Oder wo wir hinfuhren.
Bis eben heute. Als da plötzlich der Antonio dastand und meinte: „Ihr dürft auf keinen Fall aufs Schiff! Die wollen euch entführen! Die Putzfrau hat es gehört, wie sie es besprochen haben. Sie wollen die Große Rosalia loswerden, weil du zu viel von ihren Einkünften verlangst.“
Reich ist die Große Rosalia also auch … und ich komme nicht einmal in den Oberschrank!
Apropos Oberschrank. Ich darf auf keinen Fall in den Oberschrank! Sonst haben sie mich. Und den Leopold. Und damit es in einem Aufwaschen geht, nehmen sie die Leona und die Hilde wahrscheinlich auch mit.
Was mach ich denn jetzt? Ich meine, wir können ja wirklich nichts dafür, der Leopold und ich. Wir sind doch nur die Opfer! Und jetzt wollen sie uns umbringen.
Der Koffer!
Wir müssen in den Koffer! Die Ursula muss uns diesmal ins Flugzeug mitnehmen. Sonst ist alles aus!
Ich habe mich beim Antonio für die Warnung bedankt und ihm versichert, dass ich das nicht vergessen werde.
Kaum war der Antonio verschwunden, ist die Ursula von ihrem Spaziergang zurückgekommen. „Ihr schaut ein wenig zittrig aus“, hat sie gemeint. „Ist euch kalt?“
Wir haben genickt. Aber nein, uns war eigentlich heiß. Das Zittern hat einen ganz anderen Grund gehabt.
Wenn wir die Ursula nicht umstimmen können, wird der Oberschrank unser Schicksal sein.
Ich könnte euch jetzt noch erzählen, dass wir mittlerweile 33 Paar Socken und vier einzelne haben. Und dass die Ursula uns nicht ins Hotel mitgenommen hat, als die Annie Way in der Werkstatt gestanden ist, weil sie der Meinung war, die Annie Way braucht uns dringender. Und dass die Ursula, als sie heute Tee machen wollte, entsetzt feststellen musste, dass der aufgefressen war. Da muss wohl irgendwann irgendein Tier irgendwie in den Unterschrank gekommen sein. Das Faultier war es nicht. Vielleicht hätte sie den Tee im Oberschrank aufbewahren sollen. Die Schachtel und mehrere Teebeutel waren aufgerissen. Aber sonst war nichts beschädigt. Nicht einmal die Schokokekse, die waren noch originalverpackt. Zum Glück. Es war auch nicht festzustellen, um welches Tier es sich gehandelt hat, weil es nichts hinterlassen hat. Auch zum Glück.
Die unendliche Geschichte mit den kanadischen Campingplatzduschen, über die sich die Ursula einmal im Podcast ausgelassen hat, ist um eine Facette reicher geworden. Als die Ursula neulich von der “Shower” zurückkam, meinte sie: “Sally, es ist ein Glück, dass ich die Achtbeinigen unter uns Lebewesen mag, sonst hätte ich jetzt ein Problem gehabt.” Die Leona hat sich gefreut. Die mag Spinnen nämlich auch.
Apropos Leona. Die redet nicht mehr ganz so viel. Das macht unser Leben wieder ein bisschen angenehmer. Vielleicht hat sie wirklich nur was nachholen müssen, nachdem sie so lang gar nichts gesagt hat.
Wir sind auf einem Campingplatz am Meer, nur etwa 50 km von Halifax entfernt, von wo am nächsten Mittwoch die Atlantic Star mit der Annie Way ablegen wird. Wenn alles gut geht, ohne uns. Dann melde ich mich im November wieder, denn dann müssen wir endlich Termine für die Band ausmachen. Wie bereits erwähnt, die Lionfields sind genial! Wenn die Leona, die Hilde und der Leopold singen, ich sage euch, das ist Gänsehaut pur! Lasst euch das nicht entgehen bei eurer Geburtstagsfeier oder einem Firmenjubiläum oder einem Familienfest!
Sollten wir mit der Annie Way auf der Atlantic Star reisen, dann gibt es immer noch die Möglichkeit, dass wir für unsere Freilassung mit dem Gold zahlen, das die Ursula in Alaska gefunden hat und im Oberschrank aufbewahrt.
Der Leopold schüttelt gerade den Kopf. Er sagt, er hat gesehen, dass die Ursula in einer WhatsApp-Nachricht an ihre Cousine geschrieben hat, dass da gar nichts drinnen ist im Oberschrank. Immerhin hat die Cousine gemeint, die Ursula soll uns doch überraschen und uns mit ins Flugzeug nehmen.
Ich will diese Cousine kennen lernen! Die rettet uns vielleicht das Leben! Bitte, liebe Cousine, sag der Ursula noch einmal, dass wir unbedingt ins Flugzeug müssen! Egal ob Koffer oder Handgepäck, wir dürfen auf keinen Fall mehr in Annie Ways Oberschrank! Bitte! Unser Leben hängt davon ab!
Die Ursula sollte eigentlich langsam anfangen, die Annie Way für die Reise fertigzumachen. Was so viel bedeutet wie Ausräumen und Putzen. Sie verschiebt das von einem Tag auf den nächsten. Einmal, weil es regnet, und bei Regen kann man nicht putzen. Ein anderes Mal, weil das Wetter schön ist, und das schöne Wetter muss man ausnutzen. Immerhin habe ich ihr heute beim Telefonieren zugehört mit einem Truck Wash. Das haben ihr zwei Leute aus der Schweiz geraten, die haben ihren Van auch vor der Verschiffung dort waschen lassen. Die Annie Way hat nämlich immer noch eine Menge toter Mücken vorne drauf. Und wenn sie nicht total sauber ist, darf sie nicht aufs Schiff.
Das wäre die Lösung! Wenn die Ursula uns nicht fliegen lässt, machen wir einfach die Annie Way dreckig.
Leopold der Lästige schüttelt schon wieder den Kopf. Wenn wir im Oberschrank eingesperrt sind, wird das nichts mit dem Dreckigmachen. Sagt er. Ich fürchte, er hat Recht. Schon wieder. Wieso muss der immer Recht haben?
Leute, haltet uns die Daumen. Und wenn ihr uns das Leben retten wollt, dann macht der Ursula klar, dass wir auf keinen Fall mehr in den Oberschrank dürfen. Wir müssen fliegen! Sonst geht’s uns an den Pelzkragen!
Ihr hört von uns im November. Hoffe ich. Inständig.
Eure Sally
Ursula, biiiiitte: setze die Gang in deinen Koffer u nimm sie alle im Flugzeug mit. Das Gepäck braucht dringend eine Wachmannfrauschaft! Ähem, das ist der offizielle Grund, der mir einfällt.
Den wahren würdest du sicher verstehen, aber glaub mir, die Story ist so brandheiß, dass dich die Gang nicht mit reinziehen will. Nett von deinen Reisegefährten!
Ich wünsche euch eine unterhaltsame Gruppenflugreise! Markus
Hallo Markus,
keine Sorge! Sally, Hilde, Leona und Leopold sitzen gerade gemütlich im Hotelzimmer und proben irgendeinen Song, den ich entweder nicht kenne oder der nicht zu erkennen ist. Handgepäck wird sich nicht ausgehen (Leopold!), aber ein Platz im Koffer ist ihnen sicher!
Auf die brandheiße Story wäre ich aber schon sehr neugierig! Muss ich mir Sorgen machen?
Liebe Grüße aus dem sonnigen Halifax vom letzten Tag der gesamten Reise,
Ursula