Mittwoch, 7. September 2022: Lindesnes und Sandnesfjord
Info:
Der südlichste Punkt von Norwegen befindet sich beim Leuchtturm von Lindesnes, 2518 Straßenkilometer und 1682 km Luftlinie vom Nordkap entfernt.
Der Sandnesfjord im Süden Norwegens wird vor allem von Anglern und Anglerinnen sehr geschätzt.
Meine Meinung:
Lindesnes hat mir so gut gefallen, dass ich länger blieb als geplant.
Und wenn man am Sandnesfjord wandert, hat man das Gefühl, im Mühlviertel in Österreich zu sein. Vom angrenzenden Meer einmal abgesehen.
Tagebuch:
Weil wir gerade dabei waren, nach Süden zu fahren – das hatten wir schließlich seit dem Nordkap gemacht – landeten wir in Lindesnes und suchten uns auf dem Campingplatz den windgeschütztesten Platz. Der lag zwar ein Stück vom Meer weg, aber das machte sich bezahlt. Am südlichsten Punkt von Norwegen ist man den Wellen des Skagerrak stark ausgesetzt, und so schön die felsige Landschaft auch sein mag, so windig ist es dort. Wind hatten wir in den letzten Wochen genug gehabt. Mehr als genug.
Der Besitzer des Campingplatzes gab mir auf meine Frage hin einen Tipp, wie ich am besten zum Leuchtturm wandern konnte. Die Heide war zwar schon am Verblühen, aber die kleinen Buchten erinnerten mich an Cornwall, wo ich vor Jahren den South West Path entlang der Küste gewandert war. Wie schon erwähnt, ich war über 2500 Kilometer vom Nordkap entfernt. Insgesamt hatten Annie Way, Sally, Leona, Navita und ich schon fast 7800 Kilometer zurückgelegt. Und wir waren immer noch ziemlich weit von zu Hause entfernt.
Der Wanderweg, auf dem ich in Richtung Leuchtturm marschierte, wand sich teilweise an Felsen entlang, sodass man unbemerkt dort gehen konnte. Ob das wohl früher Schmugglerwege gewesen waren? Würde mich nicht wundern. Oder hatte man diese Wege nur angelegt, um vor dem Wind geschützt zu sein?
Beim Leuchtturm selbst war es wieder äußerst stürmisch, aber die Aussicht war es wert. Ich trug sowohl die Winterjacke als auch die neue Haube, trotzdem war mir kalt.
Der nächste Morgen war es, an dem ich entdeckte, dass Annie Ways Türen nicht versperrt waren. Dass sie während der gesamten Reise noch nie versperrt waren. Wie gesagt, in dreißig Jahren werde auch ich ein Vanlife-Profi sein. Aber jetzt ist da noch viel Luft nach oben.
Die Gegend gefiel mir so gut, dass ich beschloss, einen weiteren Tag zu bleiben. Außerdem war es an der Zeit, wieder mal Wäsche zu waschen, diesmal aber per Hand. Ich hängte alles an den Ästen der Föhre auf, unter der ich Annie Way neben einem Felsen geparkt hatte, und wo der Sturm nicht ganz so stark war wie sonst überall. Dann ging ich wieder auf Wanderschaft, in der Hoffnung, meine Sachen würden trotz der Kälte trocknen – was sie nicht taten.
Auf dem Weg zum Hafen von Lindesnes kam ich an einem Haus vorbei, von dem aus man eine traumhaft schöne Aussicht auf das Meer und das Dorf hatte. Es stand zum Verkauf. Überhaupt waren auf mehreren Häusern in der Gegend Schilder von Immobilienfirmen befestigt. War es der Wind, der die Menschen vertrieb? Immerhin schien die Sonne, und trotzdem war es stürmisch und kalt. Vielleicht doch kein Ort zum Leben, auch wenn es mir so gut gefiel, der Küste entlang durch die Wälder zu wandern.
In der folgenden Nacht schliefen wir zum ersten Mal mit versperrten Türen.
Freitag, 9. September 2022
Ich bin mit vielen Leuten über WhatsApp in Kontakt. Das ist mir wichtig. Von zu Hause zu hören, zu wissen, dass es allen gut geht, dass in meiner Wohnung alles in Ordnung ist, … es hat etwas sehr Beruhigendes.
Eine Frage, die immer wieder gestellt wird, ist, wie es mir allein so geht. Ob mir nicht langweilig ist.
Keine Sekunde. Erstens erlebe ich so viel, jeder Tag bringt neue Erfahrungen, Abenteuer, Erkenntnisse, Dinge, über die ich nachdenke, die mir Freude bereiten, die mich anstrengen oder mich glücklich machen. An einem Fjord zu sitzen und einfach die Atmosphäre der Umgebung in mich aufzusaugen. Durch einen Wald zu wandern, die Gerüche wahrzunehmen und den Bäumen zuzuhören. Vögel zu beobachten. Mich mit Leuten zu unterhalten. Ich werde oft angesprochen, wie es ist, allein unterwegs zu sein, und ich sage immer, ich genieße es sehr.
Langeweile ist etwas, das ich nicht kenne. Manchmal würde ich mir wünschen, dass mir einmal für eine halbe Stunde langweilig sein könnte, damit ich mir vorstellen kann, wie das ist.
Für viele Leute hat das Alleinsein etwas Beängstigendes. Ich empfinde es als etwas Wunderschönes, genau so schön, wie mit anderen Menschen zusammen zu sein. Auch Einsamkeit ist ein Gefühl, das mir unbekannt ist. Das liegt vielleicht daran, dass ich als Einzelkind aufgewachsen bin und schon im Kindergartenalter die Wälder neben dem Haus meiner Eltern im Mühlviertel erkundet habe. Ameisen, Heidelbeeren, kleine Bäche, Sumpfdotterblumen, Rehe, Hasen, Eichhörnchen, Füchse, Dachse, Marder, Würmer, Bienen, Vögel, Bäume, Pilze … Allein durch den Wald zu gehen war immer ein Abenteuer. Und nirgendwo fühlte ich mich als kleines Kind so sicher wie im Wald. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Mit jemandem zusammen etwas zu unternehmen, sei es Wandern oder Reisen, ist ganz anders. Wenn man mich fragt, ob ich lieber allein oder mit anderen Leuten unterwegs bin, kann ich keine Antwort geben. Beides mag ich gleich gern. Aber ich weiß, dass die meisten Menschen die Gesellschaft anderer dem Alleinsein vorziehen. Viele haben Angst vor dem Alleinsein. Sie würden nie allein auf Reisen gehen, nicht einmal allein durch einen unbekannten Wald spazieren. Sie würden sich bei einer Reise, wie ich sie mache, einsam fühlen und sich langweilen. Und sich vielleicht sogar fürchten.
Deshalb ist meine Art zu reisen für viele unvorstellbar. Das verstehe ich gut. Für mich wäre eine durchgeplante Gruppenreise ein Horror. Ich kann gut mit einigen wenigen Leuten oder nur einer weiteren Person unterwegs sein – wenn ich dabei zwischendurch meinen Freiraum habe. Das klappt zum Beispiel bei meinem Reisekumpel wunderbar. Er holt mich zum gemeinsamen Frühstück ab, dann besprechen wir, wie wir den Tag verbringen wollen, und es ist ganz klar, dass wir manchmal unterschiedliche Sachen machen – und dann wieder gemeinsam etwas unternehmen. Wenn er von einem Urlaubsort heimfährt, bleibe ich manchmal noch ein paar Tage, um allein unterwegs zu sein.
Ich habe oft Angst. Es kann ja auch eine Menge passieren. Wie ein Orkan am Nordkap zum Beispiel. Ja, da hatte ich richtig Angst. Oder vor der Reise, als ich noch überhaupt nicht wusste, ob ich das alles schaffe. Da meldete ich mich, wie schon erwähnt, vorsichtshalber beim ÖAMTC an. Ich überlege mir vieles im Vorhinein, um möglichst wenige unangenehme Überraschungen zu erleben. Oder um abgesichert zu sein, wenn etwas schiefgeht.
Wo ich niemals Angst habe, sind Wälder. Deshalb ist es für mich ein Genuss, in fremden Ländern wandern zu gehen. Das kann auch ein tropischer Regenwald sein. Oder der australische Busch, im Outback, nur dass ich dort vorsichtshalber Lärm mache, denn giftige Schlangen sollten die Möglichkeit haben, mir rechtzeitig auszuweichen. Vor Menschen fürchte ich mich prinzipiell nicht. Vor Bären schon.
Voriges Jahr setzte ich mich im Waldviertel im Norden Niederösterreichs im Wald neben eine wunderschöne schwarz-weiße Schlange und packte meine Jause aus. Als ich sie später googelte und herausfand, dass es sich um eine Kreuzotter handelte, nahm ich mir vor, mich nie mehr neben unbekannte Schlangen zu setzen. An solche selbst auferlegte Regeln halte ich mich im Normalfall. Meistens. Nicht immer. Manchmal vergesse ich sie einfach.
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass mir schlichtweg nichts passieren kann. Das ist völlig unmöglich. Ich bin absolut sicher. Auch wenn ich gelegentlich Sachen mache, die, im Nachhinein betrachtet, schiefgehen hätten können. Spannende Dinge zu erleben kann ein Risiko sein. Aber Langeweile … Langeweile könnte tödlich sein.
Ganz egal, wie man es macht – wenn man den Wunsch hat, die Welt zu erkunden, wenn man neugierig ist auf andere Lebensweisen, auf unterschiedliche Kulturen, auf die Natur in unbekannten Gegenden, wenn man sich aufmacht, um fremde Gedanken verstehen zu lernen, dann ist es wichtig, es auf die eigene Art zu machen. Das kann eine geführte Busreise sein. Eine Radtour. Eine Weitwanderung. Eine Zugfahrt. Es kann aber auch eine Fahrt ins Unbekannte mit einem Campervan sein.
Außerdem bin ich gar nicht allein unterwegs. Annie Way, Sally, Leona, Navita und ich sind ein tolles Team. Auch wenn ich oft nicht weiß, was ich tu.
So, und jetzt weiter mit unserer Reise.
Vom südlichsten Punkt Norwegens in Lindesnes ging es nach Nordosten Richtung Oslo. Da die Fahrt dorthin für eine Tagesstrecke zu weit sein würde, beschlossen wir, noch eine Nacht an irgendeinem Fjord zu verbringen. Ich entschied mich für den Sandnesfjord, da dort ein Campingplatz auf der Karte eingezeichnet war. Und plötzlich waren wir im Mühlviertel!
Ich machte einen langen Spaziergang durch den Wald und kam mir vor wie zu Hause. Nur die Menge an Herrenpilzen und Rotkappen war deutlich größer als im Mühlviertel, und ein Meer haben wir zu Hause auch nicht. Leider. Davon abgesehen ist Österreich für mich das schönste und beste Land der Welt. Aber das ist das Land, in dem man zu Hause ist, wahrscheinlich für jeden Menschen, ganz egal, welches Land es ist.
Ich schlief bestens, obwohl mir beim Einschlafen auffiel, dass Eicheln auf Annie Ways Dach klatschten. Aber die waren nicht weiter störend.
Erst am nächsten Morgen, als eine Dame kam, die wegen dieser Eicheln nicht schlafen hatte können, obwohl ihr Wohnwagen ein Stück entfernt stand, wurde mir klar, dass es Zeit für eine neue Erkenntnis war: Stelle deinen Van nie unter einen Baum, dessen Früchte auf das Dach fallen könnten. Sonst haben die Nachbarn ein Problem.
Ich hatte mich so auf eine Mittagsmahlzeit mit Herrenpilzen und Rotkappen gefreut – aber als es am Vormittag zu regnen begann, beschloss ich, nicht mehr in den Wald zu gehen und stattdessen nach Oslo zu fahren. Zurück in den Sonnenschein.