Dienstag, 14. September 2022: Ystad und Ales Stenar
Info:
Wer Henning Mankell liest, kennt Ystad, etwa 60 km östlich von Malmö gelegen. Etwa 19.000 Menschen wohnen in der zweitsüdlichsten Stadt Schwedens. Neben den Originalschauplätzen der Filme über Kommissar Wallander hat die Stadt selbst noch einiges an Sehenswürdigkeiten zu bieten.
Ales Stenar wird als das schwedische Stonehenge bezeichnet, ist aber ganz etwas anderes, auch wenn die Längsachse zu den Punkten hin ausgerichtet ist, wo zur Winter- und Sommersonnenwende die Sonne aufgeht. Die Schiffssetzung befindet sich etwa 10 km östlich von Ystad.
Video:
Meine Meinung:
Ich war leider nach der langen Fahrt zu müde, um Ystad zu erkunden, und offensichtlich etwas durch den Wind.
Was Ales Stenar betrifft: ein absolutes Highlight der Reise! Und Kaseberga ist einfach süß!
Tagebuch:
Gestern war ein verrückter Tag. Da war ich auf der Flucht. Vor lauter Panik, weil die Ferien zu Ende waren und die Schule wieder losging. In meiner Angst, sie könnten mich zurückholen, weil noch Lehrkräfte fehlen, jagte ich Annie Way über 600 Kilometer von Oslo noch Ystad.
Das entbehrt jeglicher Logik. Aber ich war – wie gesagt – auf der Flucht. Und ausgerechnet gestern läutete ständig das Handy, und zwar ausschließlich unbekannte Nummern.
Heute fühle ich mich wieder gut. Ich weiß auch nicht, was da los war. Ich bin doch immer gern arbeiten gegangen! Wieso dann diese Panik? Abgesehen davon, dass es noch nie vorgekommen ist, dass sie jemanden vom Sabbatical zurückgeholt haben. Völlig daneben!
Das Positive an der Sache: Wir sind in Ystad auf einem netten Campingplatz in einem lichten Föhrenwald, nicht ganz, aber fast am Strand. Gestern ging ich nach unserer Ankunft noch eine Weile am Meer spazieren, weil ich von der langen Fahrt ein wenig müde und verspannt war. Annie Ways Fahrerinnensitz ist mir nach wie vor ein wenig zu hoch, offensichtlich ist ein Fiat Ducato nicht für eine 165-Zentimeter-Person ausgelegt. Ich muss mit meinem Hinterteil auf der Sitzfläche schon sehr weit nach vorne rutschen, um beim Gasgeben die Fersen am Boden zu haben. Zum Glück konnte ich den Großteil der gestrigen Strecke wieder mit Cruise Control fahren, dabei kann ich bequem sitzen.
Ich habe einen neuen Lieblingsort. Er heißt Kaseberga, liegt ein Stück östlich von Ystad an der Südküste Schwedens, und ist für das schwedische Stonehenge bekannt.
Heute sind wir dort hingefahren. Wer jetzt an eine viertausend Jahre alte Anlage mit Megalithen, einem Henge und der Ausrichtung nach der Sonnenwende denkt, wie es bei dem echten Stonehenge in England der Fall ist, liegt hier weit daneben. Wobei, das mit der Ausrichtung stimmt schon, auch wenn es diverse Wissenschaftler:innen bezweifeln. Ich bezweifle es nicht.
Es handelt sich um eine sogenannte Schiffssetzung auf einem Hügel direkt an der Ostseeküste. Die 59 Steine sind „nur“ eine halbe bis 1,8 Tonnen schwer und in der Form eines Schiffsrumpfes angeordnet, der eine Länge von 67 Metern und eine Breite von 19 Metern hat. Vieles ist nicht mehr original erhalten, da im zwanzigsten Jahrhundert zum Teil mit schwerem Gerät versucht wurde, umgefallene Steine wieder aufzustellen. Höhenangaben historischer Quellen stimmen nicht mit den heutigen überein, die Steine könnten auch zum Teil ersetzt worden sein. An Bug und Heck sind die Steine drei Meter hoch, alle anderen sind niedriger. Nördlich von Ales Stenar wurden andere Strukturen nachgewiesen, was die Vermutung bestätigt, dass es sich ursprünglich um einen weit größeren Komplex handelte. Keramikstücke, Feuersteine und eine Urne, die man dort fand, konnten circa auf das Jahr 600 unserer Zeitrechnung datiert werden. Einige der Steine weisen aber Einkerbungen auf, wie man sie bei Dolmen gefunden hat. Solche Megalithgräber gab es schon vor 5000 Jahren.
Es ist belegt, dass die Steine von Ales Stenar in der Schifffahrt seit Jahrhunderten als Orientierungspunkt dienten. Was ihr ursprünglicher Zweck ist, kann nur vermutet werden. Vielleicht handelt es sich ja doch um einen bronzezeitlichen Kalender, wer weiß?
Was immer es sein mag, wofür auch immer es gedient haben mag … ich empfand diesen Platz als einen Ankerpunkt, der die Vergangenheit mit der Gegenwart, das Meer mit dem Land und die Erde mit dem Himmel verbindet.
Die Graslandschaft bricht zum Meer hin fast 40 Meter ab, sodass man von den Steinen aus einen wunderbaren Ausblick genießt. Ich blieb fast zwei Stunden dort und wurde nicht müde, die Steine aus allen Winkeln immer und immer wieder zu betrachten.
Dann schlenderte ich gemütlich durch den kleinen Ort Kaseberga zurück zu Annie Way, die brav auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz wartete. Ich war ein wenig nervös gewesen, weil ich keine Kronen zum Bezahlen hatte, aber es wäre nicht Norwegen, wenn es nicht gereicht hätte, die Bankomatkarte an den Parkscheinautomaten zu halten.
Nach diesem Erlebnis hatte ich das Gefühl, wieder Boden unter den Füßen zu haben. Meine gestrige Flucht kam mir plötzlich noch absurder vor, als sie mir ohnehin schon vorgekommen war. Die Steine hatten mich geerdet. Ein gutes Gefühl, wieder in mir angekommen zu sein.
Gleichzeitig musste ich den Kopf über mich selbst schütteln, als ich anschließend eine lange Wanderung vom Campingplatz in Richtung Ystad unternahm und das Meer, den Strand, die Wellen und das Kreischen der Vögel in mich aufsog. Warum war ich so sehr in Panik verfallen? Versteh eine einmal sich selbst! Mir war nicht klar, was da mit mir passiert war. Aber ja, nun ist es offiziell. Die Schule hat begonnen, und ich bin ganz woanders. Mein neuer Lebensabschnitt begann mit meiner Flucht von Oslo nach Ystad. Egal wie … Hauptsache, er hat begonnen! Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich selbst darin ankomme.
Morgen fahren wir nach Dänemark. Ich mag noch einmal nach Hasmark, der Strand dort hat mir so gut gefallen. Und dann geht’s nach je einer Übernachtung in Travemünde, Derneburg und Nürnberg zurück nach Hause.