Samstag, 20. Mai 2023: Fünfunddreißig Jahre – zwei Kontinente – eine Freundschaft.
Info:
Burlington liegt am Lake Ontario zwischen Toronto und den Niagara Fällen. Mit seinen ca. 190.000 Menschen gehört es zur Metropolregion von Toronto mit einer Gesamtbevölkerung von über 9 Millionen Einwohner:innen.
Meine Meinung:
Am Lake Ontario ist es schön. Wir haben uns Nature Trails (Wanderwege) gesucht und die Natur genossen.
Tagebuch:
Ich war am 17. Mai von Kingston nach Burlington unterwegs, um mich mit einem befreundeten Ehepaar aus Ohio zu treffen. Die beiden wohnen in der Nähe von Columbus.
Wenn man vom Osten kommt und nach Burlington will, muss man durch Toronto durch. Ich hatte ja (wieder einmal) gehofft, es umfahren zu können.
Zuerst lief alles sehr gemütlich ab, die übliche Fahrerei in Kanada eben. Je näher ich Toronto kam, desto mehr Fahrzeuge waren auf dem Highway, der – hoppala – der war doch gerade noch sechsspurig, wieso sind da plötzlich acht Spuren? Ach du meine Güte, jetzt sind es zwölf, … nein, vierzehn. Plus Pannenstreifen.
Und dann war ich plötzlich mitten in Toronto. Ja, wirklich mittendrin. Auf einer Autobahn mit sage und schreibe zwanzig Fahrspuren und acht Pannenstreifen!
Und immer noch lief alles sehr gemütlich ab. Kein Drängeln, alle fuhren mit größter Achtsamkeit und Geduld. Die übliche Fahrerei in Kanada, nur ein bisschen mehr davon. Kurzfristig gab es einen Stau, aber der löste sich schnell wieder auf.
Interessant, dass es einen Expressway gibt für die Leute, die durchfahren wollen, und daneben der sogenannte Collector läuft, über den man auffährt, und wenn man nur ein kurzes Stück auf der Autobahn fahren will, bleibt man drauf, sonst wechselt man in die Mitte zum Expressway. Zusätzlich sind dann noch die zweispurigen Auf- und Abfahrten, die parallel dazu laufen, und das alles jeweils mit ein bis zwei Pannenstreifen. Der Expressway ist vier- bis fünfspurig, der Collector drei- bis vierspurig, und wenn dann noch eine Auffahrt mit einer Abfahrt zusammenkommt, kann das richtig in die Breite wachsen.
Hab ich erwähnt, dass viel Verkehr war?
Und hab ich erwähnt, dass alles total entspannt ablief?
Trotzdem war ich froh, als wir aus dem Ärgsten rauswaren und über den QEW (Queen Elizabeth Way), der zwar immer noch achtspurig war, in Richtung Burlington fuhren. Was sind schon acht Spuren?
Ich hatte James und Polly seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen. Deshalb hatte ich ein Zimmer im gleichen Hotel wie die beiden gebucht, damit wir viel Zeit füreinander hatten.
Es wurden drei wunderbare Tage, in denen wir viel gelacht, viel diskutiert, ernste Themen erörtert haben, und in denen es war, als hätten wir uns gestern zum letzten Mal gesehen. Nur mit dem Unterschied, dass wir uns mehr zu erzählen hatten, was dazwischen passiert ist.
Die beiden hatten ursprünglich vorgehabt, im September nach Österreich zu kommen, genau in der Zeit, wo ich in Ohio sein werde. Jetzt haben sie ihre Pläne umgestellt. Sie werden zwar im September in Europa sein, aber diesmal nicht in Österreich – weil ich ja nicht da bin -, dafür kommen sie voraussichtlich im Juni 2025. Ich weiß also schon, was ich im Juni 2025 machen werde.
James und Polly lieben die Natur, sodass wir viele Stunden in Wäldern verbrachten. Dabei konnte ich meinen Wortschatz auffrischen, was Pflanzen und Tiere betrifft.
James war 39, als ich ihn als Arbeitskollegen kennen und schätzen lernte. Spaßhalber nannte ich ihn oft „old man“. Er war damals schon eine beeindruckende Persönlichkeit. Polly und er sind seit 16 Jahren verheiratet. Diese Mischung aus absoluter Vertrautheit und gleichzeitig fröhlicher Verliebtheit ist herzerfrischend. Polly muss jeden Tag um ein Uhr in der Früh aufstehen, damit sie um drei in der Arbeit ist. James macht täglich für sie das Frühstück, und zweimal in der Woche fährt er sie hin und holt sie wieder ab. Sie können es nicht erwarten, bis Polly in Pension gehen kann und sie dann mehr Zeit füreinander haben. Was nicht heißt, dass sie ausschließlich aufeinander konzentriert sind und keine eigenen Interessen haben. Aber man sieht ihnen einfach an, wie glücklich sie sind.
Als wir uns verabschiedeten, flossen Tränen.
Für mich war es an der Zeit, nach Norden zu fahren, schließlich bin ich ja nach Kapuskasing unterwegs. Es war nicht mehr weit. 880 km.
Dass ich wieder mitten durch Toronto durchmusste, sei nur nebenbei erwähnt. Es staute. Ich übersah, dass sich der Highway teilte und musste auf eine Spur wechseln, die gerade Stillstand hatte. Annie Ways Hinterteil stand noch auf der vorherigen Spur. Etwa zwei Minuten lang haben wir in einem Verkehrsstau auf der Autobahn in Toronto eine ganze Fahrspur lahmgelegt. Niemand hupte, niemand schimpfte, alle warteten geduldig, bis es auf der richtigen Spur endlich ein paar Meter weiter ging und Annie Way sich richtig einreihen konnte.
Zwei Stunden später auf der Fahrt nach Norden brachten wir endlich den Großstadtverkehr hinter uns. Ab North Bay waren wir wieder auf dem Transcanada Highway – gemütlich und entspannt mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 90 km/h. Es regnete in Strömen. All die Orte, die ich mir auf der Karte angesehen hatte, besuchte ich nicht – angesichts des Sauwetters.
Ich war unterwegs nach Kapuskasing. Wo mein Vater zwei Jahre als Lumberjack gearbeitet hatte.
Aus irgendeinem Grund war ich der Meinung gewesen, die Gegend müsse öd sein – nur Wald und sonst nichts.
Tatsächlich ist die Gegend mit vom Schönsten, was ich jemals gesehen habe. Sie ist hügelig. Wälder mit hauptsächlich Birken und Kiefern, aber auch Fichten, Erlen und Eichen, dazwischen in den Senken Flüsse oder Seen, oft mit kleinen Inseln – ich konnte mich nicht sattsehen. Gleichzeitig machte es mich ein wenig traurig. Erst jetzt, 70 Jahre nachdem mein Vater nach Österreich zurückgekehrt ist, bekomme ich einen Eindruck davon, wie viel er für meine Mutter tatsächlich aufgegeben hat.