Dienstag, 5. September 2023: Wie aus einem Hoppala ein ausgewachsenes Äha wird – oder zwei oder drei!
Info
Äha ist der österreichische Ausdruck für „Hoppala“ oder „Oops“.
An der Küste Kaliforniens sind die Redwoods zu Hause – die höchsten Bäume der Welt! Sie können bis zu 350 ft / 106 m hoch werden! Sie speichern mehr CO2 als jede andere Baumart. Da sie feuerresistent sind und nicht verrotten, wurden 95 % des Gesamtbestands geschlägert, weil sie wertvolles Bauholz darstellen. Ihre Rinde kann bis zu 30 cm dick werden und ist voller Tannin, das den Baum vor Schädlingen und Feuer schützt, sodass er tausende Jahre alt werden kann. Offiziell ist der älteste Redwood 2.200 Jahre alt, aber es wird vermutet, dass es noch ältere gibt. Sie wuchsen schon zur Jura-Zeit, als die Dinosaurier noch die Erde beherrschten. Man weiß, dass sie untereinander kommunizieren. Sie umschlingen und verbinden ihre Wurzeln, sodass sie sich gegenseitig stützen.
Die Stadt Redding im Landesinneren beeindruckt vor allem durch den Turtle Bay Exploration Park, einem Freizeit-, Natur- und Kulturgelände am Sacramento River mit der Sundial-Brücke. Durch die Lage zwischen den Bergen kann die Temperatur im Sommer auf bis zu 50°C steigen. In der Nähe befinden sich der Shasta Lake mit der Tropfsteinhöhle und der Whiskeytown Lake, beides Stauseen zur Energiegewinnung.
Lake Tahoe ist für die Einheimischen eines der Urlaubsziele schlechthin. Der See liegt an der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada in der Sierra Nevada auf einer Höhe von 1.900 m zwischen den Bergen.
Meine Meinung:
Ich habe zwar nur wenig von der kalifornischen Küste gesehen, aber das Landesinnere ist keineswegs zu verachten!
Tagebuch:
Da rufe ich ganz unschuldig von Oregon aus bei einem Campingplatz 300 km nördlich von San Francisco an der Küste Kaliforniens an, weil ich mir die Mendocino Coast ansehen möchte, und ernte schallendes Gelächter. Seit einem Jahr ausgebucht. Die gesamte kalifornische Küste. Weil Labor Day Weekend ist.
Äha.
Deshalb hatte die Dame vom Campingplatz beim Redwood State Park gesagt, dass ich am Freitag wieder weg sein muss!
Ausgebucht. Ein Jahr vorher. Na schön, dann eben woanders hin.
Auf der Karte bot sich der Ort Redding an, von dem ich überhaupt nichts wusste, außer dass er auf dem Weg zum Lake Tahoe liegt. Und zum Lake Tahoe wollte ich eigentlich schon vor 35 Jahren, aber das ging sich damals zeitlich nicht aus.
Also nicht San Francisco, keine Golden Gate Bridge, sondern Redding und die Sundial Bridge.
Ich beschloss, das Labor Day Weekend in Redding abzuwarten, bevor ich zum Lake Tahoe weiterfuhr, weil auch dort alles ausgebucht war.
Davor verbrachte ich noch zwei Nächte in der Nähe von Crescent City, um mir den Redwood National Park anzusehen. Der Highway 101 führt die Küste entlang, häufig fährt man durch Wälder. Und auf einmal werden die Bäume immer höher und höher und noch höher. Irgendwann begann ich, mich so richtig klein zu fühlen.
Auf dem Campingplatz standen viele Baumstümpfe herum, die fünf Meter oder noch dicker waren. Das war schon sehr beeindruckend.
Ich fuhr zu den Trees of Mystery nach Klamath. Dort gibt es einen Weg durch den Wald mit vielen Erklärungen, und ehe ich mich’s versah, stand ich oben auf 20 m Höhe vor einer Hängebrücke, die zum nächsten Baumstamm führte. Für eine, die bis vor ein paar Jahren noch unter extremer Höhenangst litt und nicht einmal auf eine Stehleiter steigen konnte, war das einen Moment lang eine Herausforderung. Dann erinnerte ich mich daran, dass ich ja keine Höhenangst mehr hatte, und genoss das Herumwandern in luftiger Höhe. Wieder auf dem Boden, sah ich nach oben. Das war schon seeehr hoch! Es gab dann noch eine Seilbahn auf den Berg hinauf, wo man den Rundblick auf die Umgebung genießen konnte. Leider war der Rundblick ein wenig zugewachsen.
Zwei besondere Bäume möchte ich euch noch vorstellen. Der eine begann sein Erdendasein vor über 3.000 Jahren und fiel dann irgendwann einmal um. Auf seinem Stamm wuchs ein Baum, der in der Zwischenzeit einen Durchmesser von drei Metern hat. Holz und Wurzeln des alten Baumes sind noch nicht verrottet.
In den anderen schlug der Blitz ein. Ein Ranger erzählte, dass die Feuerwehr kam, aber nichts zu tun war. Der Baum stand rot glühend da und verbrannte innerlich. Durch die Rinde drang das Feuer nicht nach außen.
Insgesamt sehr beeindruckend. Deshalb machte ich am nächsten Tag auf dem Weg nach Eureka, wo ich ins Landesinnere abbog, noch einen Abstecher auf Nebenstraßen. Wenn ich zwei Tage vorher schon begonnen hatte, mich zwischen diesen Bäumen so richtig klein zu fühlen, dann wäre das ein Grund gewesen, mich noch kleiner zu fühlen. Aber gerade die Baumriesen gaben mir ein Gefühl von Sicherheit.
Zum Vergleich: Annie Way ist 5.41 m lang, 2,05 m breit, 2,65 m hoch und 1 Jahr und 3 Monate alt.
Die Fahrt nach Redding durch die Berge war ziemlich abenteuerlich, zumal es stark regnete und es steil bergauf und bergab ging. Annie Way schnurrte zufrieden, ich fand es ein bisschen anstrengend.
Als ich am Campingplatz bei der Ankunft fragte, was man sich in Redding alles ansehen könnte, kam die Dame ins Stottern. Die Umgebung, meinte sie.
Eine Freundin schickte mir eine Nachricht, dass sie gerade an der Donau saß. Das brachte mich auf den Sacramento River. Unglaublich, wie schön das Gelände des Turtle Bay Exploration Park ist, mit Spazierwegen durch die (renaturierte) Botanik, mit einem Museum, einem Restaurant, einem Arboretum und dem Teich mit den Schildkröten. Die beiden Seiten des Flusses verbindet eine Fußgänger:innen-Brücke mit einem Glasboden. Sie heißt Sundial Bridge, weil sie an eine Sonnenuhr erinnert.
Am nächsten Tag fuhr ich zum Shasta Lake und lenkte Annie Way die kurvige, enge Straße hinunter, wo die Tour zu den Caverns, den Tropfsteinhöhlen, startete. Zuerst ging es mit einem Boot über den See, dann mit einem Bus die halsbrecherische Strecke zum Höhleneingang hinauf. Früher verkauften sie T-Shirts mit der Aufschrift „I survived the road to Lake Shasta Caverns“. Tatsächlich ist aber noch nie etwas passiert.
Wo die Wintu Indianer:innen Jahrtausende lang aus- und eingingen, verewigte sich 1878 ein Herr Richardson mit seiner Unterschrift und dem Datum an einer Wand, was ihn zum offiziellen Entdecker der Höhle macht.
Bezüglich der Bezeichnung „indians“ – die wird in den USA offensichtlich noch verwendet. Gelegentlich höre ich auch „native Americans“, aber eher selten. Mir gefallen beide Ausdrücke nicht, weil sie die weiße Perspektive widerspiegeln. In Kanada geht man ganz anders damit um.
Die Höhlen waren unbeschreiblich!
Um den Aufbau der Kristalle und Stalaktiten und Stalagmiten nicht zu stören, darf man nichts angreifen – was viele Leute nicht daran hinderte, irgendwo hinaufzuklettern und sich fotografieren zu lassen. Ich hörte, wie eine Rangerin in einer der Höhlen zu einem Kollegen meinte: „Most people are not interested in the caverns, they only want to take pictures.“ (Die meisten Leute interessieren sich nicht für die Höhlen, sie wollen nur Fotos machen.) Den Eindruck kann ich bestätigen.
Wenn Wasser durch den Berg sickert, wird es mit Kohlenstoffdioxid (CO2) angereichert. Dadurch löst es den im Gestein befindlichen Kalk (CaCO3). Trifft die Flüssigkeit auf einen Hohlraum, bilden sich Tropfen an der Decke, das CO2 tritt aus und der Kalk bleibt übrig. So entstehen Stalaktiten. Fallen die Tropfen auf den Boden der Höhle, wächst von dort ein Stalagmit nach oben. Wenn sich Stalaktiten und Stalagmiten zu einer durchgehenden Säule verbinden, nennt man das Stalagnat.
In den Höhlen geht es meistens bergauf, sodass man beim Ausgang den Weg dann im Freien zurück nach unten geht – mit Traumaussicht auf den See!
Zurück in Redding wanderte ich wieder den Sacramento River entlang.
Der nächste Tag war der Labor Day. Das ist immer der erste Montag im September. Dadurch entsteht ein verlängertes Wochenende. Am Dienstag ist Schulbeginn. Was bedeutet, die Campingplätze sind nicht mehr ausgebucht.
Ich fuhr zum Whiskeytown Lake. Auch der ist, wie der Lake Shasta, künstlich angelegt, weil ja der Strom für Kalifornien irgendwo herkommen muss.
Bleiben die Fragen: Wo ist der Whiskey? Wo ist Whiskeytown?
Es handelte sich um eine Gold Rush-Stadt, die danach an Bedeutung verlor. Woher der Name kommt, lässt sich nicht mit Sicherheit beweisen, aber es gibt die Geschichte von einem 1850-Minenarbeiter namens Billie Peterson. Dem ist auch ein Hoppala passiert. Er war dabei, Waren zu einer Mine zu transportieren, als sich ein Gepäcksstück vom Rücken seines Maultiers löste und der gesamte Whiskey, den er mitführte, den Hügel hinunterkollerte und im Bach landete. Äha. Der Bach erhielt daraufhin den Namen Whiskey Creek. Die Stadt wurde Whiskeytown genannt.
Beides gibt es nicht mehr. Bevor der See in den 1960er Jahren geschaffen wurde, löste man den wenigen Leuten von Whiskeytown ihre Grundstücke ab, und sie mussten sich woanders ansiedeln. Der Whiskeytown Lake erfreut sich als Ausflugsziel großer Beliebtheit.
Auf der Rückfahrt schaute ich mir die erhaltenen Gebäude von Shasta an – ebenfalls eine Gold Rush-Stadt, die allerdings nach einem Feuer auf Ziegelhäuser setzte, die bis heute erhalten sind. Als 1848 Gold entdeckt wurde, überrannten die Goldsucher die Gegend, die von den Wintu bewohnt war – nicht nur völlig rücksichtslos, sie forderten sogar die Ausrottung der „Indianer:innen“! Die Wintu waren zum Glück davon nicht beeindruckt und überstanden den Gold Rush, obwohl ihnen ihre Behausungen genommen wurden.
Da stand dieser Schulbus auf einem Parkplatz in Shasta … mit unzähligen gebatikten T-Shirts. Für mich eine Jugenderinnerung, als ich selbst noch gebatikt hatte. Dauerte nicht lang, und ich verließ mit drei T-Shirts und einem Kleid den Parkplatz. T-Shirts und Kleider mit Batik-Muster sind in den USA noch nicht in Vergessenheit geraten. In vielen Geschäften habe ich sie schon gesehen, allerdings bedruckt und nicht gebatikt. Die Kleidungsstücke, die der in die Jahre gekommene Hippie mit dem gelben Schulbus verkaufte, waren alle von ihm und seiner Frau gemacht. Da konnte ich einfach nicht widerstehen … Überhaupt ist vieles, was einst zur Hippie-Kultur gehörte, hier noch lebendig. Bis hin zu alten, bunt bemalten VW-Bussen, die aus irgendeinem unerfindlichen Grund immer noch fahrtüchtig sind. Wenn auch eher langsam.
Die Fahrt zum Lake Tahoe führte wieder durch die Berge – diesmal bei Schönwetter. Ich machte sogar einen Abstecher nach Nevada und fuhr durch Reno. Von dort an ging’s bergauf, bis der See sichtbar wurde.
Der Campingplatz lag mitten in einem Wald ein Stück außerhalb von South Lake Tahoe, einem typischen Tourist:innen-Dorf. Ich fuhr zum Strand und wanderte lang am See entlang.
Am nächsten Tag überwand ich mich endlich und mietete ein Kajak. Warum ich das nicht schon früher getan hatte? Keine Ahnung! Es machte total Spaß, und die Zeit verging wie im Flug.
Als ich nach meinem Paddel-Ausflug wieder den See entlangschlenderte, passierte es. Das nächste Hoppala, das ein Äha wurde. Ich stolperte – und zwar so richtig, weil ich nicht auf den Boden schaute, sondern auf die Enten.
Da lag ich im weichen, warmen Sand im Schatten eines Baumes und rührte mich nicht. Weil ich nicht wusste, was passiert war. Ich blieb einfach liegen. Zum Glück waren keine Leute in der Nähe. Es dauerte lang, bis der Schmerz nachließ. Dann bewegte ich meinen rechten Fuß einmal ganz vorsichtig. Das funktionierte. Ich setzte mich auf. Autsch. Aber eindeutig nichts gebrochen. Wahrscheinlich die Bänder überdehnt. Irgendwann humpelte ich dann zu Annie Way zurück. Sie brachte mich zum Campingplatz, und ich rührte mich für den Rest des Tages nicht mehr.
Außer das eine Mal, als ich die Schiebetür schloss, weil es abends ziemlich kühl wurde. 3°C waren für die Nacht vorausgesagt, da wollte ich ein bisschen Wärme retten.
Kaum hatte ich mich wieder gesetzt und das Bein hochgelagert, hörte ich Stimmen, und zwei junge Männer rannten rund um Annie Way. Das ist etwas, was man auf Campingplätzen einfach nicht macht – man respektiert die Privatsphäre anderer Leute.
Aber dann sah ich den Grund. Zwei Schwarzbären standen gemütlich auf der anderen Seite von Annie Way, bei der Schiebetür, die ich zwei Minuten zuvor geschlossen hatte. Äha!
Nein, kein Äha, sondern unbeschreibliches Glück. Da machte es dann gar nichts mehr, dass ich in der Nacht kaum schlafen konnte, weil mein Fuß sich nicht beruhigte.
Auch in der folgenden Nacht wachte ich noch häufig auf. Aber in der dritten Nacht nach der Stolperei schlief ich schon wieder durch. Tagsüber gaben mir meine Wanderschuhe sicheren Halt, auch wenn ich anfangs furchtbar humpelte und Annie Way nur verließ, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Nach einer Woche war der Spuk vorbei.
Fazit zu den Ähas: Ich wäre nie in diese wunderschönen Gegenden gekommen, wenn nicht an der Küste alles ausgebucht gewesen wäre. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich draußen vor Annie Ways Schiebetür in meinem gemütlichen Campingsessel gesessen wäre, eingewickelt in die große Stola, die Donna für mich gehäkelt hat, wenn ich nicht ein lädiertes Beinchen gehabt hätte, das hochgelagert werden wollte. Die Bären hätten dann keine geschlossene Schiebetür vorgefunden, sondern eine sehr erschrockene Ursula (lat.: kleine Bärin).
So betrachtet, hatte ich großes Glück. Da haben wohl wieder alle meine Glücksbringer:innen zusammengeholfen!
Sehr spannend, informativ und amüsant deine Reiseeindrücke.