Donnerstag, 5. Oktober 2023: Noch einmal auf den Spuren meines Vaters!
Info:
Hamilton ist eine Hafenstadt am westlichen Ende des Lake Ontario mit 570.000 Einwohner:innen. Zusammen mit Toronto und den Vorstädten bildet es die Greater Toronto and Hamilton Area (GTHA) und den Golden Horseshoe (Goldenes Hufeisen entlang dem Westende des Sees), wo 9,77 Millionen Menschen leben. Das sind mehr als die Hälfte der gesamten Provinz Ontario und über zwanzig Prozent von ganz Kanada.
Stahl- und Schwerindustrie prägen auch heute noch die äußeren Bezirke von Hamilton, allerdings hat sich in den letzten fünfzehn Jahren ein Wandel in Richtung Dienstleistungen vollzogen, hauptsächlich zum Gesundheitswesen und zur Wissenschaft.
Meine Meinung:
Ich habe mich sofort sehr wohl gefühlt in Hamilton.
Tagebuch:
Nachdem mein Vater 1951 nach Kanada ausgewandert war, arbeitete er zwei Jahre in Kapuskasing „in the bush“ als Lumberjack für die Papierfabrik Spruce Falls. Danach nahm er eine Stelle in einer großen Möbelfabrik in Hamilton an.
Der Firmenbesitzer wurde bald auf den jungen Mann aus Österreich aufmerksam, was ich mir gut vorstellen kann. Mein Vater war handwerklich unglaublich geschickt. Außerdem hatte er die Gewohnheit, sich alles zuerst in Ruhe zu überlegen und dann möglichst effizient durchzuführen. Das Wort „unmöglich“ kam ihm wahrscheinlich nie in den Sinn. Er arbeitete sehr genau und war auch kreativ. Sein außergewöhnliches Zeichentalent konnte er sicher in der Tischlerei einbringen.
Es dauerte nicht lange, und zwischen dem Firmenbesitzer und „George“, wie er in Kanada genannt wurde (er hieß Kurt Georg), entwickelte sich eine Freundschaft. Der Firmenbesitzer wollte längst in Pension gehen, hatte aber keine Erben. Also bot er meinem Vater an, die Firma übernehmen zu können.
Der schickte daraufhin das Geld für die Schiffsreise an meine Mutter. Wie die Sache ausging, habe ich schon erzählt. Nicht sie kam nach Kanada, sondern er ging zurück nach Österreich, wo sie heirateten und einige Jahre später ein Kind bekamen.
Zu Hause wurde nie über Kanada gesprochen, obwohl es immer das Traumland meines Vaters blieb. Warum ich mir als Kind die wenigen Sachen, die er erwähnte, gemerkt habe, kann ich nicht sagen. Vielleicht verstand ich intuitiv, dass es ihm wichtig war. Einmal hörte ich meine Mutter sagen, dass Hamilton sowieso eine hässliche Stadt sei.
Vielleicht war es das in den 1950er Jahren. Ich weiß es nicht. Wenn, dann muss es sich sehr verändert haben. Denn hässlich ist da gar nichts mehr. Dass manche Industriegebäude am Stadtrand keinen Schönheitspreis gewinnen würden, ist wohl in jeder Industriestadt so. Aber das Zentrum und die Wohngebiete, die Parks am See – all das hat mir sehr gefallen.
Im Nachhinein freut mich das. Denn nehmen wir einmal an, meine Mutter wäre nach Kanada gekommen und die beiden hätten tatsächlich mich als Kind gehabt (was sowas von unwahrscheinlich ist, aber nicht unmöglich) – ich hätte mich in Hamilton wohlgefühlt. Vielleicht wäre ich später nach Kingston gezogen und hätte mir eine kleine Insel gekauft. Vielleicht wäre ich dreimal wöchentlich bei den Niagarafällen gestanden und hätte selig lächelnd auf das grüne Wasser geschaut. Vielleicht hätte ich Weinbau betrieben, wie so viele in der Gegend. Oder ich hätte in der Firma meines Vaters gearbeitet, denn zufällig liebe ich es, Möbel herzustellen. Und vielleicht wäre ich gleich nach meiner Pensionierung ein halbes Jahr lang durch Europa gezogen, um die Heimat meiner Eltern kennen zu lernen.
Wie auch immer. Wie es ist, so ist es gut. Es könnte nicht besser sein.