Mittwoch, 11. Oktober 2023: Per Anhalter durch die Galaxis!
Info:
Auto Service ist kein Ort, sondern eine Autowerkstatt.
Meine Meinung:
Nach über fünf Monaten plötzlich in einem echten Zimmer mit einem echten Bett und einer echten Dusche zu schlafen, war himmlisch. Aber nach zwei Tagen reichte es, und ich konnte es nicht erwarten, wieder in Annie Way zu übersiedeln.
Tagebuch:
Ende März 2023, bevor wir nach Hamburg fuhren, hatte Annie Way noch einen Termin bei der Fachwerkstätte meines Misstrauens, die allerdings vom (pfui!) Wohnmobilhändler wärmstens empfohlen worden war. Durchchecken, Service und – obwohl es noch nicht nötig war – auf jeden Fall Öl und Filter wechseln, denn in Kanada und USA gibt es keine Fiat-Werkstätten. Ölwechsel. Das war der Auftrag.
Als ich Annie Way abholte, wurde mir versichert, das Auto sei in einem dermaßen guten Zustand, da werde ich noch lange Freude daran haben.
Sehr schön. Ist ja auch erst ein Jahr alt. „Das Öl haben Sie eh gewechselt?“
„Nein, das war noch nicht notwendig.“
Die anschließende Diskussion war eine Herausforderung an mein gutes Benehmen, aber sämtliche herbeigeeilten Herren versicherten mir, dass ich bis Alaska und zurück keinerlei Probleme haben würde. Tausendprozentig nicht.
Wer bin ich, mich mit hochqualifizierten Experten anzulegen? Kfz-Techniker waren vor Corona entweder Verwandte der Werkstattbesitzer:innen oder wurden nur genommen, wenn sie ein Sehr gut in Mathematik hatten. Da die Werkstatt meines Misstrauens sehr groß ist, können nicht alle mit dem Besitzer verwandt sein.
Ich beschloss, ihnen zu vertrauen.
In Hamilton meldete sich Annie Ways Computer. Ölwechsel fällig.
Aha.
Ich bog zur nächsten Werkstatt ein. Die Herren waren etwas überfordert. Welches Öl Annie Way braucht? 0W30. Sie schickten mich 1 km weiter zur Chrysler-Werkstatt, denn die hätten das Öl.
Die hatten zwar das entsprechende 0W30, aber keinen Termin frei. Allerdings sei die nächste Fiat-Werkstatt nur den Hügel hinauf.
Die nächste Fiat-Werkstatt?
20 km weiter oben kam ich bei Fiat an. Die hatten schon geschlossen, aber eine Dame war noch da und meinte, ich solle am nächsten Morgen um acht Uhr kommen, dann würde sie mich einschieben.
Am nächsten Morgen um acht Uhr wurden Annie Ways Daten aufgenommen, und kurz darauf stand sie in der Werkstatt. Ich saß in der Gäste-Lounge und trank gemütlich Kaffee. Bis ich nach einer Stunde aufgerufen wurde. Sie hatten 0W30 nicht lagernd. Außerdem wussten sie nicht, wie viel Annie Way brauchte. Und Filter konnten sie sowieso keinen auftreiben. Und – so etwas, was Annie Way da unter ihrer Motorhaube hat, hatten sie noch nie gesehen. Mit einem Wort: Da trauten sie sich nicht drüber. Aber wenn sich der Computer erst jetzt gemeldet hatte und ich ohnehin nur bis Halifax fahren wollte, das würde Annie Way sicher noch schaffen.
Wer bin ich, mich mit hochqualifizierten Experten anzulegen?
Wir kehrten Hamilton den Rücken und auf den Transcanada Highway zurück. Aus irgendeinem Grund schickte uns Google Maps diesmal nicht auf die achtzehnspurige Autobahn ins Zentrum von Toronto, sondern gemütlich außen herum. Das war fast ein wenig enttäuschend. Demnächst werde ich in Österreich das Strafmandat erhalten, weil ich auf der Mautstraße nicht bezahlt habe. Normalerweise kann man mit Kreditkarte zahlen, aber dort war nichts außer dem mehrmaligen Hinweis, wenn man nicht zahlt, wird man bestraft.
Pause in Kingston, noch einmal an den Lake Ontario. Auch im Herbst wunderschön. Ölwechsel fällig.
Vorbei an Montreal, vorbei an Quebec. Ölwechsel fällig.
Zwei Nächte in Riviere-du-Loup, wo es mir im Frühling so gut gefallen hat. Und wieder: traumhaft! Ölwechsel fällig.
Danach wollte ich nach Moncton weiter und schließlich nach Cape Brenton im Norden von Nova Scotia. Ölwechsel fällig.
Auf der Fahrt auf dem Transcanada Highway in Richtung Moncton ging mitten in der Botanik das gelbe Ölkontrolllämpchen an.
Ich fuhr weiter und hoffte inständig, die nächste Ausfahrt würde bei einer größeren Stadt sein.
Die nächste Ausfahrt kam nicht. Und nicht. Aber das gelbe Ölkontrolllämpchen leuchtete tapfer gegen die Nachmittagssonne an
Endlich, nach langen zwanzig Minuten eine Ausfahrt. Aber keine Stadt. Eine Tankstelle. Sonst nichts. Bäume, ein Teich, eine Querstraße. Ja, es gibt in der Nähe eine Werkstatt, sagten sie in der Tankstelle. Nur eine Minute in diese Richtung. Blaues Gebäude auf der linken Seite. Aber heute ist dort niemand. Heute ist Feiertag.
Schon wieder ein Feiertag?
Thanksgiving.
Aha.
Auf der Fahrt zur Werkstatt sah ich das Ortsschild: Florenceville-Bristol, die Pommes Frites Hauptstadt der Welt (French Frie Capital of the World).
Dann kam ein rotes Gebäude, das wie ein landesüblicher Schuppen aussah und sich als Kartoffelmuseum entpuppte.
Danach ein Hotel.
Und ein paar hundert Meter weiter tatsächlich eine Werkstatt.
Ich stellte Annie Way ab, legte einen Zettel mit meiner Telefonnummer und dem Hinweis, dass das Auto dringend einen Ölwechsel braucht, hinter die Windschutzscheibe, packte ein paar Sachen in einen Walmart-Einkaufssack und marschierte die Straße entlang zum Hotel. Dort betrat ich ein paar Minuten später ein … ja, tatsächlich, ein echtes Zimmer mit einem echten Bett und einer echten Dusche!
Die Gegend war schön, Indian Summer, wie man ihn sich vorstellt, mit roten Ahornblättern, und so ging ich spazieren. Dabei kam ich irgendwann dann doch noch bei einigen Häusern vorbei. Einen großen Fluss gab es auch. Die Brücke war aber gesperrt. So wie sie aussah, wahrscheinlich wegen Einsturzgefahr.
Am nächsten Morgen stand ich wieder einmal um acht Uhr bei einer Werkstatt, und diesmal wurden Annie Way und ich nicht weitergeschickt. Ging ja auch nicht mehr.
Und siehe da, im Wartebereich lag ein Buch. A Hitchhiker’s Guide to the Galaxy. Per Anhalter durch die Galaxis. Ewig nicht mehr gelesen! Ich musste ein paarmal so lachen, dass der Werkstattbesitzer ebenfalls grinste. Sie hatten das Öl nicht lagernd, aber wahrscheinlich würde es heute noch kommen. Allerdings erst am Nachmittag.
Ich ging ins Hotel zurück und verlängerte meinen Aufenthalt. Da es in der Gegend offensichtlich keine Bären gab, konnte ich nach Lust und Laune herumwandern. Das hatte ich so lang nicht getan, dass sich abends ein Muskelkater bemerkbar machte.
Annie Ways Öl kam nicht rechtzeitig an, aber der Herr von der Werkstatt versicherte mir, dass es am nächsten Morgen da sein würde. Ich brauchte das Hotelzimmer nicht mehr zu verlängern.
Das war gut so, denn so himmlisch es sich anfangs angefühlt hatte, in einem echten Zimmer mit einem echten Bett und einer echten Dusche zu sein, und so sensationell auch das Frühstück war, ich sehnte mich schon wieder sehr nach meinem winzigen Reich in Annie Way. Um ehrlich zu sein, dieser Luxus kam mir fast ein wenig dekadent vor. So wie im Vorjahr, als mir nach zwei Monaten in Skandinavien mit Annie Way meine kleine Wohnung plötzlich riiiiiesig erschien.
Am nächsten Tag plagten sie sich noch ein wenig mit Annie Ways Computer, googelten ihre Nachrichten, denn die sind ja auf Deutsch, aber sie schafften es, ihr klarzumachen, dass das Öl gewechselt war. Und dann zahlte ich …
Sage und schreibe so gut wie gar nichts. Und dafür entschuldigte sich der Werkstattbesitzer noch. Ich erklärte ihm, dass ich mit viel mehr, eigentlich mit viel viel mehr gerechnet hatte, weil in Austria die Preise höher sind, bedankte mich und ging zu Annie Way, um meine Sachen aus der Walmart-Einkaufstasche zu verstauen.
Als ich sie startete, erzählte sie mir fröhlich: „Ölwechsel durchgeführt.“
Genau.
Bei der Tankstelle holte ich mir eine Tafel Schokolade. Da war ein Regal mit allen möglichen Sorten Öl. 0W30 war auch dabei.
Wir fuhren nach Moncton, aber nicht mehr nach Cape Brenton, sondern nach Hubbards in der Nähe von Halifax. Dort gab es einen Campingplatz am Meer.
Das brauchte ich jetzt. Meer. Ganz einfach Meer.
Und demnächst werde ich endlich wieder einmal „A Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ lesen.
Allerliebste Ursula,
das mit der Werkstattsuche war ja ärger als ein Krimi oder Thriller. Ich kenne Ähnliches und, wenn man in so einem Geschehen mitten drinnen ist, fragt man sich, ob es da wirklich noch eine Lösung gibt. Ich hab richtig mitgefühlt mit dir. Jedenfalls – alles gut ausgegangen. Gratuliere!
Alles , alles Gute für die restliche Zeit in Kanada.
Gerhard