Donnerstag, 11. August 2022: Kautokeino
Info:
Kautokeino ist eines der Zentren samischer Kultur in Norwegen. Die samische Hochschule, eine samische weiterführende Schule, ein Sami-Theater und das Norwegisch-Samische Parlament haben hier ihren Sitz. Ca. 1500 Menschen leben in der Ansiedlung.
Die Umgebung ist geprägt durch viele Flüsse. Entsprechend extrem ist im Juni die Anzahl der Moskitos. Ein Einheimischer erzählte mir, es gäbe in der Nähe einen Ort an einem Fluss, wo man drei Wochen im Jahr ohne Netz nicht einmal einatmen kann.
Juhls Silbergalerie befindet sich etwas außerhalb auf einem Hügel. Sami-Kunst und Sami-Handwerk werden hier ausgestellt.
Meine Meinung:
Es gibt Plätze, wo man ankommt und sich augenblicklich wohlfühlt, ohne es begründen zu können. So ist es mir in Kautokeino gegangen.
Die Einladung zur abendlichen Kaffee-Zeremonie ins Lavvu nahm ich dankend an, weil ich sehr an der Kultur der Sami interessiert bin und auf meiner Fahrt (fast) jedes Sami-Museum besucht habe, an dem ich vorbeikam. Das Gespräch mit der Sami-Familie war eines der besonderen Erlebnisse dieser Reise.
Auch Juhls Silbergalerie war ein lohnendes Ziel, sowohl wegen der Architektur des Gebäudes als auch wegen der ausgestellten Gegenstände. Und was Architektur betrifft: die öffentlichen Gebäude in Kautokeino sind eine Augenweide!
Tagebuch:
Von Gällivare fuhren wir durch eine Wahnsinnslandschaft in Schweden und Finnland nach Kautokeino in Norwegen. Immer noch auf der E 45, die ja in Alta endet. Beim Einchecken auf dem Arctic Campingplatz meinte der junge Mann, ich solle am Abend um 19 Uhr mit einer Tasse zum Kaffee in den Lavvu kommen. Ein Lavvu ist ein Zelt, wie es die Sami verwenden. Das auf dem Campingplatz ist allerdings größer, da es nicht zum Wohnen, sondern nur für Gäste gebraucht wird.
Draußen sah ich einen Mann, der in traditioneller Sami-Kleidung Holz hackte und eine Fahne aufhängte.
Ich ließ mich noch beraten, wie ich den Nachmittag verbringen sollte, und wanderte zu Juhls Silbergalerie, wo Sami-Kunst in einem Gebäude mit unglaublich schöner Architektur ausgestellt ist. Ich habe mir sogar etwas gekauft, allerdings nicht für mich, sondern für meinen Sohn – falls er es mag. Wenn es ihm nicht gefällt, behalte ich es. Aber ich schätze, es wird ihm gefallen.
Überhaupt fielen mir in Kautokeino viele Gebäude auf, die architektonisch etwas Besonderes sind. Gerade bauen sie an einem Schulzentrum, das österreichische Lehrkräfte durchaus vor Neid erblassen lassen könnte.
Und was die Sami-Museen betrifft, die sind ohnehin in jedem noch so kleinen Nest der schönste und größte Bau. Zusammen mit der Bibliothek. Das zeigt auch, welche Wertschätzung Kultur, Bücher und Bildung in Skandinavien genießen. (Bei einem Vergleich, welche in Österreich die schönsten Gebäude sind, kommen die Schulen ganz zum Schluss.)
Kurz nach sieben betrat ich mit meinem Kaffee-Häferl den Lavvu. Ein Lagerfeuer brannte in der Mitte, rundum waren Bänke aufgestellt, die mit Rentierfellen bedeckt waren, und auf dem Boden saß der junge Mann in traditioneller Sami-Kleidung, den ich schon am Nachmittag beim Holzhacken gesehen hatte. Ich grüßte und meinte, mir sei gesagt worden, ich solle um sieben mit einer Kaffeetasse erscheinen. Er schenkte mir daraufhin aus einer riesigen schwarzen Eisenkanne, die am Rand des Feuers stand, Kaffee ein und meinte, ich solle mir lieber ein Rentierfell von der Bank nehmen und mich auch auf den Boden setzen, dann stinke ich nachher nicht so extrem nach Rauch. Das tat ich. Unglaublich, wie weich so ein Fell ist! Und wie warm!
Im Lavvu staute sich der Rauch tatsächlich ein wenig. Dazu kam, dass als Brennholz ganz einfach Zweige verwendet wurden, die noch das Laub draufhatten. Interessant fand ich die Art, wie er das Holz schlichtete. Als Tochter eines Mannes, der einst in den kanadischen Wäldern als Lumberjack gearbeitet hatte, habe ich selbst Unmengen an Holz gehackt und weiß ich von klein auf, wie man jedes Feuer mit jedem Holz bei jedem Wind zum Brennen bringt. Der Sami legte die Äste und Zweige einfach alle in der gleichen Richtung hin – und es brannte trotzdem. Vielleicht aber nur, weil wir in einem Zelt waren, wo kein Wind ging.
Mit der Zeit kamen noch einige andere Leute mit und ohne Tassen herein, darunter auch ein Herr aus Augsburg, der mit dem Fahrrad zum Nordkap unterwegs war. Wir waren eine internationale Runde aus Norwegen, Schweden, den Niederlanden, der Schweiz, Deutschland und Österreich und unterhielten uns auf Englisch. Schließlich erschien noch die Sami-Großmutter in ihrer traditionellen Tracht. Sie war es, die 1966 den Campingplatz gegründet hatte und sich mit ihren 82 Jahren abends immer noch gern ans Feuer in den Lavvu setzte. Gemütlich zündete sie sich eine Zigarette an und meinte in ihrer samischen Sprache, dass das Lagerfeuer ein schöner, großer Aschenbecher sei. Der junge Sami übersetzte. Er erzählte, dass er aus dem Norden Schwedens stammte, aber seine Freundin sei die Enkelin dieser Dame, und deshalb lebte er jetzt hier. Die drei kleinen blonden Kinder, die zwischendurch immer wieder reinschauten und Holz ins Feuer warfen, waren seine. Außerdem gab es noch den Hund, einen jungen Husky aus einer besonderen Zucht, die zum Hüten von Rentieren gehalten wird.
Auf unsere Frage, ob er selbst auch Rentiere hätte, antwortete er mit Ja. Sie befänden sich wahrscheinlich gerade irgendwo in der Gegend von Tromsö, sein Vater und sein Bruder machten das hauptberuflich, er kümmerte sich nicht darum. Rentiere folgen den Flussläufen, deshalb wusste er, wo sie zu welcher Jahreszeit zu finden seien. Sie haben alle eine Markierung am Ohr, aus der hervorgeht, wem sie gehören. Ein Rentier ist etwa 5000 Norwegische Kronen wert, also 500 Euro.
Auf die Frage der Niederländerin, wie viele Rentiere er besitze, meinte er, das entspräche in Norwegen der Frage, wie viel Geld jemand auf der Bank hätte, und lächelte. Antwort gab er keine.
Das war allerdings die einzige Frage, die er nicht beantwortete. Ansonsten wurde er nicht müde, vom Leben der Sami zu erzählen, auch mit dem Hinweis, früher hätten die Regierungen viel Geld dafür verwendet, die Kultur der Sami zu zerstören, und heute verwenden sie viel Geld dafür, sie zu erhalten und wieder aufleben zu lassen. Sami zu sein, sei etwas Besonderes, eine Frage der Identität. Man dürfe sich Sami nennen, wenn die Großmutter noch eine der neun Sami-Sprachen gesprochen hat.
Er selbst sprach Sami und arbeitete auch oft fürs Fernsehen, sowohl in Schweden als auch in Norwegen, wenn es um Sami-Themen ging. In einem Nebensatz meinte er, er hätte hier in Kautokeino eine Filmproduktionsfirma und hätte auch bei einer Netflix-Serie mitgearbeitet.
Für mich war es faszinierend, wie er zwischen den Welten wechselte. Ja, das Leben im Zelt ginge ihm ab, er hatte bis zu seinem neunten Lebensjahr im Lavvu gelebt. Allerdings, ein Haus mit Elektrizität sei auch nicht zu verachten. Aber am Abend am Feuer zu sitzen und traditionell Kaffee zuzubereiten, dieses Ritual sei ihm wichtig. Kaffee am Abend spiele bei den Sami eine große Rolle.
Er sprach ein sehr amerikanisches Englisch, und auf meine Frage hin meinte er, er hätte in New York studiert. Dann stand er auf und ging hinaus, um noch ein wenig Holz zu hacken.
Ein Deutscher, der gerade vom Nordkap gekommen war, erzählte, dass dort so etwas wie ein Jahrhundertsturm getobt hatte und das Fahren sehr gefährlich gewesen sei. Aber inzwischen sollte es besser sein. Ein Blick auf die Wetter-App bestätigte: acht Stunden Sonnenschein am nächsten Tag am Nordkap.
Es war ein vergnüglicher Abend. Wir blieben stundenlang am Feuer sitzen.
Ich bin jetzt geselcht. Das heißt, ich halte mindestens zehn Jahre länger. Und das, wo doch meine Wäsche gerade frisch gewaschen und doppelt getrocknet war. Die Jeans zog ich trotzdem am nächsten Tag beinhart wieder an.
An diesem nächsten Tag ging die Sonne um 3:17 Uhr in Kautokeino auf. Gut, dass sich Annie Way so toll verdunkeln lässt!